Suspiria (I/USA 2018)

Klassiker-Remakes bedeuten immer ein Risiko. Zwangsläufige Vergleiche mit dem Original treiben gemeinhin die eingefleischten Fans auf die Barrikaden, während zeitgemäße Anpassungen meist in einen Kniefall vor kommerzieller Leichtverdaulichkeit münden. Dass es anders geht, beweist Luca Guadagnino („A Bigger Splash“) mit „Suspiria“. Seine Neuverfilmung des Dario-Argento-Kultfilms von 1977 ist anders. Anders als andere Remakes – und vor allem anders als die ursprüngliche Version. Das schlägt sich bereits in der Laufzeit nieder: Für seinen hypnotischen Mystery-Sog veranschlagt Guadagnino rund zweieinhalb Stunden. Für einen Genrefilm, vor allem einen mit eher überschaubar dimensioniertem Handlungskonstrukt, ist das mehr als üppig. Trotzdem ist das mit Nähe zum Arthouse-Kino inszenierte Schauerstück sehenswert. Sofern man sich darauf einlassen kann.

Dass es um die Wiedererstarkung einer Hexe geht, erörterte Argento schleichend. Guadagnino benötigt dafür lediglich wenige Sätze. Selbst die im Original ungenannten lateinischen Namen der drei „Mütter“ – Mater Suspiriorum, Mater Tenebrarum und Mater Lachrymarum –, die ihre Mythologie unter Argento erst mit den Fortsetzungen „Inferno“ (1980) und „The Mother of Tears“ (2007) entfalteten, finden Erwähnung. Auslöser ist die merklich angespannte Patricia (Chloë Grace Moretz, „Carrie“), die sich dem alten Dr. Klemperer (mit großer Maske hinter dem fiktiven Pseudonym Lutz Ebersdorf verborgen: Tilda Swinton, „I Am Love“) offenbart. Es ist bezeichnend, dass der Cast keinen relevanten männlichen Darsteller auffährt. Auch das spricht für den außergewöhnlichen Ansatz von „Suspiria“. Selbiges gilt für den Handlungsort, der von Freiburg ins geteilte Berlin der ausgehenden 1970er verlagert wird.

Das Zeitkolorit ist hervorragend. Die Hauptstadt versinkt – als schierer Gegenentwurf zu Argentos knallbunter Märchenaura – in tristem grau. Selbst die politischen Spannungen jener Zeit, vorrangig die Entführung der Passagiermaschine „Landshut“ und das Ende der RAF-Ära um Baader/Meinhof, schwingen über Nachrichteneinblendungen mit. Im Zusammenspiel mit den unheimlichen Begebenheiten in der Tanzakademie „Helena Markos“ ergibt sich daraus eine auf subtiler Ebene konstant bedrohliche Atmosphäre. Dass sich diese nur selten in Blutschocks oder Momente klassischen Horrors entlädt, ist ein deutliches Zeichen für die Verweigerungshaltung der Macher vor den Standarten eines auf Geisterbahneffekte und Jump Scares geeichten Genres. Durch wechselnde Perspektiven wird der Zuschauer zum Zeugen einer zögerlichen Entwicklung, in der ein konspirativer Zirkel um Anstaltsleiterin Madame Blanc (auch Swinton) die talentierte US-Schülerin Susie Bannion (Dakota Johnson, „Fifty Shades of Grey“) schrittweise für ihre Zwecke vereinnahmt.

Susie erregt rasch die Aufmerksamkeit von Madame Blanc und ihrem Gefolge – u. a. verkörpert von Angela Winkler („Die Blechtrommel“), Ingrid Caven („Die Zärtlichkeit der Wölfe“) und Renée Soutendijk („Abwärts“). Bald wird sie von Alpträumen und flirrenden Lichtern heimgesucht. Symbolismus und Metaphorik des Gesamtwerks genügen leicht, um Filmstudenten Stoff für Dutzende Abschlussarbeiten zu bescheren. Allein die verdrängten Nachwehen des Nationalsozialismus, der als patriarchales Regime im auffälligen Kontrast zum umfänglichen Feminismus des Hexenordens steht, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Als Klemperers verschollene Gattin Anke tritt auch Jessica Harper, Hauptdarstellerin von Argentos Original, in Erscheinung. Den Wurzeln des Films zollt Guadagnino hinreichend Tribut; besonders hervorgehoben werden soll an dieser Stelle aber lediglich die wunderbar hommagierende Kameraarbeit von Sayombhu Mukdeeprom („Call Me By Your Name“).

Als Remake im klassischen Sinne dient sich „Suspiria“ kaum an. Autor David Kajganich („The Terror“) greift zwar auf relevante narrative Träger des Plot-Gerüsts zurück, kreiert auf deren Basis jedoch (s)eine ganz eigene Vision. Die bleibt auch von der beeindruckenden Ästhetik der famos choreographierten Tanzszenen geprägt, die ihre morbide Klimax im heidnischen Schlussakt findet, bei der Gedärme aus Körpern gerissen werden und sich eimerweise Kunstblut aus geöffneten Körpern ergießt. Allerdings bleibt selbst diese fast beiläufig abgehandelte grafische Zuspitzung – ähnlich „Hereditary“ – allein der visuell wie erzählerisch konsequenten Abkehr von normierten Unterhaltungsmustern unterworfen. Jedermanns Sache ist der überlange, von den beunruhigenden Klängen Thom Yorkes (Frontmann der Alternative-Rocker „Radiohead“) untermalte Nachtmahr keineswegs. Wer sich darauf einlassen kann, wird jedoch mit einem sehenswert gespielten, intensiv entschleunigten Rausch belohnt.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

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