„My mom was old, and she wasn’t all together there at the end. And we were pretty much estranged before that, so it really wasn’t a huge blow. […] And my father died when I was a baby from starvation, um… because he had psychotic depression and he starved himself, which I’m sure was just as pleasant as it sounds. And then there’s my brother. My older brother had schizophrenia, and when he was 16, he hanged himself in my mother’s bedroom and of course his suicide note blamed her, accusing her of putting people inside him.“ – Annie bei der Selbsthilfegruppe
Der zeitgenössische Horror schöpft sich aus kalkulierten Geisterbahneffekten. Auf Basis schnell verdaulicher Unterhaltungshappen des Standards „Conjuring“ & Co. funktioniert das brauchbar. Dass es anders geht, beweist Ari Aster („Midsommar“) mit seinem Langfilmdebüt „Hereditary“. Das Gänsehautpotenzial nährt sich hier aus der gebeutelten Psyche der Figuren und dem Spiel mit Traum und Realität. Oder besser: Wahn und Wirklichkeit. Dem nach schnellen Schocks gierenden Massenpublikum ist damit nicht geholfen. Für dessen Geschmack dürfte der Film zu langsam, zu kunstvoll, zu suggestiv ausfallen. Wer es hingegen darauf anlegt, im Stile alter Klassiker wie „Rosemaries Baby“ (1968) oder „The Shining“ (1980) auf eine abgründige Reise verschleppt zu werden, liegt bei Asters unbequemer Familiengeschichte genau richtig.
Die beginnt mit einem Nachruf: Die Mutter von Annie (großartig: Toni Collette, „The Sixth Sense“) ist tot. Dabei entblößt ihre Öffnung bei einer Selbsthilfegruppe in wenigen Sätzen die Abgründe der familiären Vorgeschichte. Doch eine Bewältigung der Vergangenheit scheint unmöglich, wenn diese zunehmend ins Geschehen der Gegenwart dringt. Obwohl sie keine Schuld an der Zerrüttung ihres Elternhauses trifft, macht sich Annie Vorwürfe. Das belastet nicht nur sie selbst, sondern auch die Beziehungen zu ihrem Mann Steve (neben Collette ebenfalls Produzent des Films: Gabriel Byrne, „Die üblichen Verdächtigen“) und den gemeinsamen Teenager-Kindern, Peter (Alex Wolff, „Old“) und der verschlossenen Charlie (Milly Shapiro). Während Künstlerin Annie für eine geplante Ausstellung detailreiche Architektur im Miniaturformat kreiert, verbringt Charlie ihre Zeit am liebsten in einem Baumhaus, wo sie Figuren aus Kunststoffabfällen bastelt.
Das größte Pfund bei Asters Inszenierung ist, neben dem Fokus auf die psychologische Ausarbeitung der Figuren, der Hang zur unterschwellig unbequemen Visualisierung. Selbst Annies Modelle schüren als Reflektionsflächen tiefsitzender Traumata ein Mehr an Unbehaglichkeit. Steve scheint dieser als relativer Ruhepol zunächst entgegenwirken zu können. Den weiteren, zunehmend niederschmetternden Ereignissen steht aber auch er hilflos gegenüber. Nach einem verheerenden, bei aller grotesken Anmutung keinen Deut vom konsequenten Ernst der Erzählung abrückenden Unfall droht die Familie endgültig zu zerbrechen. Während Peter zunehmend von alptraumhaften Visionen geplagt wird, fahndet Annie mit Unterstützung von Zufallsbekanntschaft Joan (Ann Dowd, „The Handmaid’s Tale“) in übersinnlichen Praktiken nach Antworten.
Am Ende, wenn Annies Realität in einem verstörenden Schlussakt aus den Angeln gehoben wird, entfaltet Asters kunstvolle Verdrehung von Erwartung und Konvention eine Wirkung, die über gängige Hollywood-Formeln weit hinauswächst. Gerade das macht „Hereditary“ so großartig wie gleichwohl zur echten Bewährungsprobe für das Stammpublikum konventionellen Mystery-Grusels. Dabei dringt Aster tief in die Gefilde paranoider Genre-Auswüchse vor, in denen obendrein ein Weltbild beständigen Misstrauens aufgezeigt wird. Nicht umsonst gelten herausragende Horror-Werke immer auch als Spiegelbild des gesellschaftlichen Klimas ihrer Produktionszeit. Der Auteur selbst hat seine dem Arthouse-Metier nahestehende Nische bereits mit seinem Erstling kongenial ausgelotet. Auf die Entwicklung seines Werdegangs dürfen Cineasten wahrlich gespannt sein.
Wertung: (8 / 10)