Midsommar (USA/S 2019)

„We think of life like the seasons.“ – Pelle

Der Horror des Ari Aster („Beau is Afraid“) ist anders. Das bewies der 1986 geborene Filmemacher bereits mit seinem gefeierten Kinodebüt „Hereditary“ (2018). Der Schrecken seiner Werke ist nicht Mainstream-kompatibel. Das offenbart auch „Midsommar“, dessen meditative Inszenierung und nicht zuletzt der Fokus auf die psychologischen Aspekte das Stammpublikum von „Conjuring“ & Co. neuerlich vergrätzen dürfte. Anders als bei seinem Erstling ergänzte Aster die Leinwandfassung um einen Director’s Cut, der die Handlung auf fast drei Stunden längt. Das verlangt (noch mehr) Sitzfleisch, beschert der Geschichte im Gegenzug aber durchaus sinnhafte Ergänzungen.

Das Spiel mit suggestiven Bildern bürgt bereits bei der Einleitung für erschütternde Intensität – und lässt die für ihre Mitwirkung in „Little Women“ (2020) Oscar-nominierte Florence Pugh zu Höchstform auflaufen. Der Beginn zeigt ihre Studentin Dani in Sorge um die psychisch kranke Schwester. Die emotionale Zehrung belastet die Beziehung zu Christian (Jack Reynor, „The Peripheral“), mehr noch, als der schwindende Lebenswille der Schwester auch die Eltern das Leben kostet. Ein solch niederschmetternder Auftakt will erst einmal verdaut werden. Doch für die Atmosphäre – und nicht zuletzt die narrative Zuspitzung – erscheint er zwingend notwendig.

Monate nach dem schrecklichen Verlust erhält die von Panikattacken gebeutelte Dani die Gelegenheit, Christian und seine Studienfreunde Josh (William Jackson Harper, „Love Life“) und Mark (Will Poulter, „Maze Runner“) nach Schweden zu begleiten. Ausgangspunkt ist Kommilitone Pelle (Vilhelm Blomgren, „Gösta“), der einer provinziellen Kommune entstammt, deren Riten Josh als Grundlage für seine Doktorarbeit dienen sollen. Zur Zeit der Sommersonnenwende, in weitgehendem Tageslicht, wird in der abgeschiedenen Glaubensgemeinschaft ein neuntägiges Fest gefeiert. Die Gäste aus Übersee – sowie zwei weitere aus England – dürfen dem heidnischen Treiben beiwohnen.

„Are these the May queens?“ – Dani

Der naturalistische Charakter der scheinbar aus Zeit und Raum gefallenen Sozietät – u. a. vertreten durch Julia Ragnarsson („Springflut“) – wirkt bewusst naiv: verzierte Holzhäuser auf sattgrünen Auen (gedreht wurde nicht in Schweden, sondern im Umland von Budapest), ein Kollektiv in Leinenkutten und ethische Grundfeste, bei denen (in Quersumme oder für sich stehend) die Zahl 9 eine zentrale Bedeutung erhält. Die Auswärtigen begegnen den Menschen und ihren Gebräuchen mit einer gewissen Arroganz; vor allem Mark scheint vorrangig daran gelegen, den Avancen einer jungen Einheimischen nachzugeben. Das unterschwellige Unbehagen, das durch die Einnahme (und Verabreichung) psychedelischer Rauschmittel verstärkt wird, mündet zunächst jedoch nicht in eine erkennbare Bedrohungslage.

Das ändert sich skurrilerweise auch dann nicht, als die rituellen Programmpunkte Einblicke ins festgesetzte Ende individueller Lebenszyklen offenbaren. Unvermittelt verstört Aster mit Bildern platzender Körper. Die Kontrastierung wirkt tief. Nur Dani & Co. reagieren verhalten. Nachvollziehbar bleibt das nicht. In diese Unwucht fügen sich auch konstruierte Konflikte: Dass Christian nach vier Jahren Beziehung Danis Geburtstag vergisst, erscheint ebenso unglaubwürdig wie sein plötzliches Bestreben, Josh in Sachen folkloristischer Forschungsarbeit Konkurrenz zu machen. Doch auch wenn „Midsommar“ nicht auf ganzer Linie überzeugt, aus dem Sinn schwindet der unbequeme Bilderreigen nicht so schnell.

Das liegt, wie bei „Hereditary“, auch am Schlussakt, der Aster auf den Spuren von „The Wicker Man“ (1973) erneut verstörend gerät und sich buchstäblich ins Gedächtnis brennt. Damit gelingt dem eigenwilligen Filmschaffenden ein betont sperriges und zutiefst unbequemes Kunstwerk, das sein Publikum zwangsläufig spaltet. Die gegenüber der Leinwandfassung rund 25 Minuten verlängerte Version trägt dazu nurmehr bei, verlangsamt diese Tempo und Entwicklung (u. a. durch ein ergänzendes, von Dani unterbundenes Ritual, bei dem ein junges Mädchen ertränkt werden soll) doch mitunter fast bis zum Stillstand. So muss man schon in aller Konsequenz bereit sein, sich auf diesen schleichenden Höllentrip einzulassen. Fest jedoch steht: Bleibende Impressionen bleiben garantiert. Auf die eine oder andere Weise.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

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