Polar (USA/D 2019)

Netflix produziert Filme am laufenden Band. Wie viel dafür – und das nachgelagerte Marketing – finanziell aufgewendet wird, bleibt das Geheimnis des Streaming-Riesen. Dessen Vertriebsweg hat eine neue Ära der Unterhaltungsindustrie eingeläutet und dürfte mittelfristig auch Kinoproduktionen erfassen. Bis es soweit ist, muss sich Netflix mit dem dreifach Oscar-prämierten Prestigeprojekt „Roma“ (2018) begnügen. Denn bei zahlreichen exklusiv für das On-Demand-Portal geschaffenen Werken drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, dass die großen Studios sie ob der durchwachsenen Qualität der ihnen zugrundeliegenden Drehbücher abgelehnt haben.

In diese Sparte fällt auch „Polar“, die vom ehemaligen Video-Clip-Virtuosen Jonas Åkerlund („Lords of Chaos“) realisierte Adaption des gleichnamigen Dark-Horse-Comics von Victor Santos. In dem soll das Verbrechersyndikat Damocles veräußert werden. Möglichst gewinnbringend versteht sich. Nur gestaltet sich das nicht gerade einfach. Denn die Organisation zahlt ihren Pensionären fürstliche Renten. Um diesen horrenden Faktor zu minimieren, veranlasst der schmierig-spleenige Syndikats-Vorsteher Blut („Little Britain“-Kultstar Matt Lucas) die Beseitigung der bilanzschädigenden Berufsaussteiger – was zum Auftakt in die brutal absurde Ermordung des überdreht zugedrogt agierenden „Jackass“-Zugpferdes Johnny Knoxville mündet.

Als weit größere Herausforderung gestaltet sich die Liquidierung von Elite-Killer Duncan Vizla (Mads Mikkelsen, „Doctor Strange“), besser bekannt als „The Black Kaiser“. Die lebende Legende hat sich nach der Verrentung in die Provinz zurückgezogen, wo sie ein simples Leben im Schatten ihrer seelischen Narben führt. Seine traumatisierte, zunächst verschlossene Nachbarin Camille (Vanessa Hudgens, „Spring Breakers“) weckt Duncans Neugier und lässt den abgedankten König der Mietmörder die angestammte Isolation zumindest punktuell überwinden. Doch Bluts Schergen holen ihn zwangsläufig ein und mit Camille als zusätzlichem Druckmittel scheint das Syndikat trotz der schieren Unüberwindbarkeit der Zielperson im Vorteil.

Mal langsam und lakonisch, dann wieder blutbesudelt schrill und laut. Die richtige Balance findet die insgesamt mäßig gelungene und obendrein merklich gedehnte Adaption des Pulp-Action-Kunstwerks nur selten. Dabei sind es gerade die kleinen Szenen, die „Polar“ Profil verschaffen: die erste Annäherung an Camille über einen Stapel Brennholz oder die politisch unkorrekte Unterrichtsstunde in der Grundschule. Im Gegenzug fällt vor allem das hippe Killerkommando ab, das zu keiner Zeit den Eindruck erweckt, der Zielperson gewachsen zu sein. Dass die mit Duncan schicksalhaft verbandelte Camille letztlich in Bluts Gewalt gerät und der Black Kaiser in dessen Folterhölle landet, bringt immerhin die finale, alles bereinigende Konfrontation in Gang.

Die stilisierte Action ist momentweise kunstvoll geraten, die Klasse eingefleischter Genre-Spezialisten lässt Åkerlund aber oftmals vermissen. Dafür überzeugen die Hauptdarsteller Mads Mikkelsen und Vanessa Hudgens als gebrochene, auf seltsame Weise aufeinander angewiesene Charaktere, die mit der Vergangenheit nicht abschließen können. In einer zwar willkommenen, darüber aber nicht weniger verzichtbaren Nebenrolle ist auch Hollywood-Veteran Richard Dreyfuss („Der weiße Hai“) zu sehen. So vielversprechend die Prämisse, so ernüchternd das Resultat. Der Trend setzt sich fort: Netflix-Filmproduktionen sind, „Roma“ hin oder her, einfach kein Pflichtprogramm.

Wertung: 5 out of 10 stars (5 / 10)

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