Netflix produziert Filme am laufenden Band. Wie viel
dafür – und das nachgelagerte Marketing – finanziell aufgewendet wird, bleibt
das Geheimnis des Streaming-Riesen. Dessen Vertriebsweg hat eine neue Ära der
Unterhaltungsindustrie eingeläutet und dürfte mittelfristig auch
Kinoproduktionen erfassen. Bis es soweit ist, muss sich Netflix mit dem dreifach
Oscar-prämierten Prestigeprojekt „Roma“ (2018) begnügen. Denn bei zahlreichen
exklusiv für das On-Demand-Portal geschaffenen Werken drängt sich unweigerlich
der Verdacht auf, dass die großen Studios sie ob der durchwachsenen Qualität
der ihnen zugrundeliegenden Drehbücher abgelehnt haben.
In diese Sparte fällt auch „Polar“, die vom ehemaligen Video-Clip-Virtuosen
Jonas Åkerlund („Lords of Chaos“) realisierte Adaption des gleichnamigen
Dark-Horse-Comics von Victor Santos. In dem soll das Verbrechersyndikat
Damocles veräußert werden. Möglichst gewinnbringend versteht sich. Nur
gestaltet sich das nicht gerade einfach. Denn die Organisation zahlt ihren
Pensionären fürstliche Renten. Um diesen horrenden Faktor zu minimieren,
veranlasst der schmierig-spleenige Syndikats-Vorsteher Blut („Little Britain“-Kultstar
Matt Lucas) die Beseitigung der bilanzschädigenden Berufsaussteiger – was zum
Auftakt in die brutal absurde Ermordung des überdreht zugedrogt agierenden „Jackass“-Zugpferdes
Johnny Knoxville mündet.
Als weit größere Herausforderung gestaltet sich die Liquidierung von
Elite-Killer Duncan Vizla (Mads Mikkelsen, „Doctor Strange“), besser bekannt
als „The Black Kaiser“. Die lebende Legende hat sich nach der Verrentung in die
Provinz zurückgezogen, wo sie ein simples Leben im Schatten ihrer seelischen
Narben führt. Seine traumatisierte, zunächst verschlossene Nachbarin Camille (Vanessa
Hudgens, „Spring Breakers“) weckt Duncans Neugier und lässt den abgedankten
König der Mietmörder die angestammte Isolation zumindest punktuell überwinden.
Doch Bluts Schergen holen ihn zwangsläufig ein und mit Camille als zusätzlichem
Druckmittel scheint das Syndikat trotz der schieren Unüberwindbarkeit der
Zielperson im Vorteil.
Mal langsam und lakonisch, dann wieder blutbesudelt schrill und laut. Die
richtige Balance findet die insgesamt mäßig gelungene und obendrein merklich
gedehnte Adaption des Pulp-Action-Kunstwerks nur selten. Dabei sind es gerade
die kleinen Szenen, die „Polar“ Profil verschaffen: die erste Annäherung an Camille
über einen Stapel Brennholz oder die politisch unkorrekte Unterrichtsstunde in
der Grundschule. Im Gegenzug fällt vor allem das hippe Killerkommando ab, das
zu keiner Zeit den Eindruck erweckt, der Zielperson gewachsen zu sein. Dass die
mit Duncan schicksalhaft verbandelte Camille letztlich in Bluts Gewalt gerät
und der Black Kaiser in dessen Folterhölle landet, bringt immerhin die finale,
alles bereinigende Konfrontation in Gang.
Die stilisierte Action ist momentweise kunstvoll geraten, die Klasse eingefleischter Genre-Spezialisten lässt Åkerlund aber oftmals vermissen. Dafür überzeugen die Hauptdarsteller Mads Mikkelsen und Vanessa Hudgens als gebrochene, auf seltsame Weise aufeinander angewiesene Charaktere, die mit der Vergangenheit nicht abschließen können. In einer zwar willkommenen, darüber aber nicht weniger verzichtbaren Nebenrolle ist auch Hollywood-Veteran Richard Dreyfuss („Der weiße Hai“) zu sehen. So vielversprechend die Prämisse, so ernüchternd das Resultat. Der Trend setzt sich fort: Netflix-Filmproduktionen sind, „Roma“ hin oder her, einfach kein Pflichtprogramm.
Wertung: (5 / 10)