Micmacs – Uns gehört Paris! (F 2009)

micmacsNach dem Welterfolg „Die fabelhafte Welt der Amelie“ versuchte Kinomagier Jean-Pierre Jeunet ernstere Töne anzuschlagen. Doch „Mathilde“, so überaus raffiniert die tragikomische Suche nach einem im Krieg verschollenen Geliebten auch inszeniert war, blieb kaum mehr als ein Achtungserfolg. Für einen Regisseur wie Jeunet scheint das fast zu wenig. Sechs Jahre später verknüpft der Franzose die morbide Abgründigkeit seiner Frühwerke (insbesondere die des Debüts „Delicatessen“) mit der Lebensfreude von „Amelie“. Das Resultat heißt „Micmacs – Uns gehört Paris!“ und setzt seinem Faible für schräge Außenseiter die vorläufige Krone auf.

Im Mittelpunkt dieser schrulligen Gauner-Burleske steht Bazil („Willkommen bei den Sch’tis“-Star Dany Boon). Sein Vater wurde beim Entschärfen einer Tretmine getötet, die Mutter in ein Sanatorium eingeliefert. Er selbst landete im Waisenhaus und flüchtete alsbald in ein Leben auf der Straße. Jahre später verdingt sich der Lebenskünstler als Videothekar, kann „Casablanca“ mitsprechen und ist mit sich im Reinen. Bis, ja bis ihm eines Abends eine verunglückte Pistolenkugel in den Kopf dringt, die der zuständige Arzt nach einem Münzwurf einfach lässt wo sie ist. Fortan lebt er von einem Tag zum nächsten Schließlich könnte jeder davon sein letzter sein.

Die ansteckende Lebensfreude seiner Figuren nutzt Jeunet für einen Rachefeldzug der besonderen Art: Nachdem Bazil von einer Schrottplatz-Patchworkfamilie – darunter Jeunet-Regularie Dominique Pinon und Jean-Pierre Marielle („Das Parfum von Yvonne“) – adoptiert wurde, schmiedet er einen perfiden Plan und spielt die so skrupellosen wie narzisstischen Waffenfabrikanten de Fenouillet (André Dussolier, „36 – Tödliche Rivalen“) und Marconi (Nicolas Marié, „39,90“), die auch die Verantwortung für das Schicksal seiner Familie tragen, in tolldreister Manier gegeneinander aus. Was folgt ist eine Nummernrevue in bester „Mission: Impossible“-Manier, während der Bazil sein Herz an Schlangenfrau Caoutchouc (Julie Ferrier, „So ist Paris“) verliert.

Paris verwandelt sich in ein Panoptikum märchenhafter Übersteigerung, in der die Realität zwar ihren festen Platz hat, durch skurrile Typen und visuellen Einfallsreichtum aber immer wieder ausgeblendet wird. Obendrauf gibt’s Seitenhiebe auf die Regierung Sarkozy, wunderbare Oden an die Stummfilmkomik und in obskurer Sammelleidenschaft und dekadenter Selbstüberschätzung derart übersteigerte Feinbilder, dass selbst der allzu glatte finale Kniff nicht negativ ins Gewicht fällt. So ist „Micmacs“ ein rauschhaftes Stück Arthouse-Kino mit detailreich gestalteten Sets und Gimmicks, liebenswerten Figuren und einer Vielfalt an Ideen und Themen. In solcher Kurzweil konnte das nur wieder Jean-Pierre Jeunet gelingen!

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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