Spun (USA/S 2002)

spunBased on the truth…and lies

Der Drogenfilm hat sich in den vergangenen Jahren, bedingt durch den Erfolg von Danny Boyles groteskem Junkie-Drama „Trainspotting“, zunehmend als Independent-Subgenre etabliert. Zwischen melodramatischer Realitätsbeschaffenheit und verklärter Fäkalfiktion entstanden solch differente Werke wie Terry Gilliams „Fear and Loathing in Las Vegas“ oder Darren Aronofskis „Requiem for a Dream“. Mit „Spun“, dem begeisternden Spielfilmdebüt von Clip-Regisseur Jonas Akerlund (drehte u.a. das Musik-Video zu „Smack My Bitch Up“ von The Prodigy), reiht sich nun ein weiteres beachtliches Werk in die schmutzverkrustete Sparte des politisch nur allzu unkorrekten Pulp-Kinos ein.

Dabei besitzt es grundlegend keinerlei Bewandtnis, ob man sein täglich‘ Brot nun Spoof, Dope, Crank, Creep, Bomb, Spank, Shit, Bang, Zip, Tweak oder Chard nennt. Es bleiben Methamphetamine, das verdammte Lebenselixier eines über den Zeitraum von drei ereignisreichen Tagen betrachteten Zirkels gestrandeter Existenzen in den Grenzbereichen der amerikanischen Gesellschaft. Menschen, die endgültig drohen durch das Raster der sozialen Strukturierung zu gleiten. Menschen wie Ross (Jason Schwartzman, „Rushmore“), geradewegs vom College geflogen und unmittelbar von der geliebten Freundin verlassen. Menschen ohne Ziele, ohne Ambitionen.

Auf der Suche nach Futter für den kranken Geist tritt Ross seinen Weg zum paranoiden Kleindealer Spider Mike (John Leguizamo, „Moulin Rouge“) an, der zusammen mit seiner abgewrackten Freundin Cookie (Mena Suvari, „American Beauty“) eine nicht minder heruntergekommene Bleibe in der Vorstadt bewohnt. Neben Frisbee (Patrick Fugit, „Almost Famous“) macht Ross im Hause Spider Mikes die Bekanntschaft der extrovertierten Nikki (Brittany Murphy, „Freeway“), die ihn aufgrund drogenbedingter Engpässe seitens Mikes mit ihrem Geliebten, dem namenlosen Koch (Mickey Rourke, „Angel Heart“) zusammenbringt.

Der produziert seinen Stoff in einem stickigen Motelzimmer eigenhändig. So kommt es, dass der motorisierte Ross unbedeutende Fahrdienste für den Koch und Nikki erledigt und im Gegenzug mit Drogen versorgt wird. Die ganze Angelegenheit gerät jedoch zusehends aus den Fugen, als sich zwei abgehalfterte Cops (Peter Stomare und Alexis Arquette) über den tumben Frisbee an die Fersen des Kochs heften.

Elegant verwebt Leinwanddebütant Jonas Akerlund das episodenartige Geflecht seines hochkarätigen Erstlings zu einem atmosphärisch dichten Bilderreigen. Der individualistische Stilismus der Inszenierung bleibt an der Oberfläche von bitterem, oft obszönem und absurdem Humor gesäumt. Im Inneren jedoch steht der tragische Sog des existenzialistischen Schlundes der Abhängigkeit. Dabei knüpft Akerlund in seiner schieren Flut rasanter Schnittfolgen, Zeitraffer, Split-Screens und Trickfilmsequenzen nahtlos an seine hochgelobten Videoclips an. Die Wurzeln seines Handwerks verleugnet der Regisseur keineswegs, sondern transferiert seine Qualitäten als Verfechter hypnotischer visueller Overkills kongenial auf sein erstes Filmprojekt.

Eingesponnen in den alltäglichen Kapitalismus zwischen Kurier und Konsument, Hersteller und Klientel, präsentiert „Spun“ abseits seiner sehenswerten Hauptbesetzung zudem eine Riege namhafter Nebendarsteller, darunter Eric Roberts („Mississippi Delta“), Larry Drake („Darkman“), Blondie-Sängerin Deborah Harry („Hairspray“), Metal-Ikone Rob „Judas Priest“ Halford, Porno-Choryphäe Ron Jeremy („Der blutige Pfad Gottes“) sowie Billy „Smashing Pumpkins“ Corgan. Der Letztgenannte zeigt sich auch für den exquisiten Soundtrack verantwortlich. „Spun“ ist komplex und vielschichtig, eine tragikomische Odyssee in Gefilde der menschlichen Seele, wo jeder Euphorie der tiefe Fall ins Nichts folgt, eine abgefuckte wie freizügige Low-Budget-Groteske, die sich ähnlich „Trainspotting“ aber nicht frei von unterschwelliger Romantisierung des Verhaltens seiner Antagonisten präsentiert.

Zwar ebnet der wahrlich feurige Abgang des Kochs am Ende den Weg für ein schwermütiges Feedback und die unterschwellige metaphorische Abrechnung mit dem selbstzerstörerischen Sumpf aus Pillen und Pulver, doch schuf die kaum angestrebte Distanz des Filmes zu seinem Kontext ausreichende Angriffsfläche für zum Teil vernichtende Kritikerurteile im Herstellungsland USA. Dort wurde der Streifen nicht zuletzt aufgrund der explizit offerierten Nacktheit heftig angefeindet und landesweit lediglich zensiert und von gerade einmal schlappen 23 Kinos ins Programm genommen. Aber für die breite Masse sind radikale Projekte der Machart „Spun“ auch kaum konzeptioniert, so dass Grammy- und MTV-Video-Award-Gewinner Jonas Akerlund um sein künftiges Zubrot kaum bangen muss.

Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

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