Das Abendprogramm der öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten beweist, dass Briten und Skandinavier die qualitativ hochwertigsten Krimis stricken. In Norwegen schreibt diese Anne Holt, promovierte Juristin und ehemalige Justizministerin. Ihre Romane sind Bestseller, deren bislang zwei Verfilmungen unterstreichen zumeist eingangs aufgestellte These. „Rache für meine Tochter“, Adaption des Buches „Selig sind die Dürstenden“, ruft nach „Justitia – Blinde Göttin“ – beide verfilmt durch Carl Jørgen Kiønig – erneut die unkonventionelle Ermittlerin Hanne Wilhelmsen (Kjersti Elvik, „Hawaii, Oslo“) auf den Plan. Und deren reichhaltiger Erfahrungsfundus als Kriminalkommissarin ist gefragt, wenn es gilt die Hintergründe einer brutalen Vergewaltigung aufzudecken.
In ihrer Wohnung wird die Osloer Studentin Kristina (Gjertrud l. Jynge, „Skolen“) von einem Unbekannten missbraucht. Für den verwitweten Vater (Nils Ole Oftebro, „Gefährliche Wasser“) bricht damit eine Welt zusammen, deren Schmerz er versucht mit der eigenmächtigen Fahndung nach dem Schuldigen zu tünchen. Hanne Wilhelmsen, eigentlich mit der Ermittlung in der Angelegenheit blutbesudelter Lokationen betraut, an denen mysteriöse Zahlenkombinationen Rätsel aufgeben, wird auf Kristinas Fall angesetzt. Bald wird klar, dass die beiden Fälle unweigerlich miteinander verknüpft sind. Aber die Zeit drängt, ist Kristinas Vater dem Täter doch bereits bedrohlich nahe gekommen.
Menschliches Drama und Verbrechensbekämpfung liegen bei „Rache für meine Tochter“ eng beieinander. Die spröde Polizistin Hanne Wilhelmsen, die ihre lesbische Neigung vor den Kollegen zu verbergen versucht, hat neben beruflichem Stress auch Probleme mit ihrer Partnerin zu bestreiten. Dabei erfährt nicht nur sie eine ausgeprägte Charakterisierung, sondern auch diverse Nebenfiguren, was gerade im Hinblick auf die tiefblickende Betrachtung der Opferrolle positiv ins Gewicht fällt. Im Gegenzug will die stimmige Einbringung der Vielzahl relevanter Figuren nicht recht gelingen, was den Film mitunter ins episodische driften lässt.
Formal setzt Regisseur Kiønig einen frühen Höhepunkt, wenn er die anfängliche Vergewaltigung durch Kreuzschnitte in Kontrast zum Liebesspiel von Hanne und ihrer Freundin, sowie dem Beischlaf ihres Kollegen Håkon (Lasse Kolsrud, „Evas Auge“) mit der Rechtsanwältin Karen Borg (Anne Ryg, „The Eagle“) setzt. In der Folgezeit hat „Rache für meine Tochter“ mit kleineren Längen und einem nicht immer konstanten Spannungsbogen zu kämpfen. Kleinerer Mängel zum Trotz ist der atmosphärische Fernsehfilm ein gelungener Thriller, der die glaubhaften Charaktere weder an Vorhersehbarkeiten, noch an Effekthascherei vergeudet.
Wertung: (6 / 10)