Kotzreiz – Nüchtern unerträglich (2020, Aggressive Punk Produktionen)

Die Welt ergibt keinen Sinn (mehr). Klimawandel hier, wiedererstarkte Nazis dort. Und dann auch noch das Corona-Virus. KOTZREIZ bringen es auf den Punkt: „Nüchtern unerträglich“. Zu viele Sorgen, zu viele Gedanken. Dann doch lieber Bechern, bis der Bandname zur Maxime wird. So viel Tiefsinn war den Berliner Deutsch-Punks in der Vergangenheit kaum zuzutrauen. Entsprechend nah liegt der Verdacht, dass das Trio in den abstinenten Jahren einen unverkennbaren Reifeprozess erfahren hat. Oder so ähnlich.

Tatsächlich sind KOTZREIZ auch 2020 noch unmissverständlich KOTZREIZ. Und nicht. Das macht ihren dritten Langspieler zur durchaus spannenden Angelegenheit. Wobei „lang“ auch diesmal relativ zu betrachten ist. Für die elf neuen Tracks veranschlagen die Friedrichshainer rund 24 Minuten. Mehr als vier davon entfallen auf ihr bislang üppigstes Stück, „Punk Boys Don’t Cry“. Dabei hantieren KOTZREIZ mit Wehmut und Sehnsucht. Auch das ist neu. Vorbei ist das ätzende Spiel mit Genre-Klischees aber mitnichten. Dafür präsentiert die Dreifaltigkeit der Schnoddrigkeit noch immer ausreichend schrammelig eigenproduzierte Pogo-Hits des Kalibers „Wer is wieder da“, „Eiskalte Ohren“, „Ratten im System“ (als Vorab-Single bereits 2015 vorgestellt) oder „Ich bin ein Wrack“.

Allerdings wird der Abwechslungsreichtum auf „Nüchtern unerträglich“ merklich genährt; durch den elektronischen, von Emilie Krawall unterstützten Beitrag „Toilettenstern“, die Surf-Nummer „Sambuca Beach“ oder den von Andrea (PESTPOCKEN) stimmlich begleiteten Rausschmeißer „Der räudige Aal“. Dass obendrein nicht an bierseligen Chören gespart wird, veranschaulicht exemplarisch die lupenreine Sommer-Hymne „Nix zu verliern“. Die erste Platte der Hauptstädter seit viel zu langen acht Jahren ist damit ein weiterer Party-Kracher par excellence. Darauf ein Sterni. Oder auch fünf.  

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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