Kontroll (H 2003)

kontrollDas osteuropäische Kino bringt selten, doch zumindest in überschaubaren Abständen, großes zu Werke. Dies belegen allein das Oscar-prämierte Drama „Kolya“ (Tschechische Republik), der groteske Thriller „Kiler“ (Polen), der fulminante Bauernschwank „Schwarze Katze, weißer Kater“ (Jugoslawien) oder die sarkastischen Filme von Stop-Motions-Maestro Jan Svankmajer. Mit „Kontroll“ reiht sich nun ein Beitrag aus Ungarn in diesen erlesenen Zirkel prägnant andersartiger Filmschöpfungen ein und bereichert die kinematografische Osterweiterung um ein weiteres Schätzchen abseits des massenkompatiblen Unterhaltungsspektrums.

Eher unzusammenhängend erzählt Nimród Antals Erstling aus dem skurrilen Alltag von fünf Kontrolleuren im Netz der Budapester U-Bahn. Einer von ihnen ist Bulcsú (Sándor Csányi, „Nexxt“), der in dieser unterirdischen Schattenwelt sein zu Hause gefunden hat. Neben der Pflege kollegialer Rivalitäten bildet die Jagd auf Schwarzfahrer die Hauptertüchtigung im regen Arbeitsleben „unter Tage“. Die Verfolgung des permanenten Unruheherds Bootsie (Bence Mátyási, „Rinaldó“) ist für Bulcsú und seine Gruppe gar längst zum sportlichen Wettkampf avanciert. Überschattet wird der ohnehin nicht gefahrfreie Beruf vom Wirken eines vermummten Psychopathen (Gyözö Szabó, „Beyond the Bend“), der wiederholt unbeteiligte Passanten vor einfahrende U-Bahnen bugsiert. Und dann ist da noch Szofi (Eszter Balla, „Our Love“), die in ein Bärchenkostüm gekleidet mehr als nur Bulcsús Aufmerksamkeit erregt.

Erstaunlich leichtfüßig und geprägt von schwarzem Humor springt „Kontroll“ quer durch zahlreiche Genres und verwebt bei großartiger Kameraführung Thriller-Elemente mit dergleichen des Dramas zu einem surrealistischen Albtraum. Wie eine Mischung aus Luc Bessons „Subway“ und den frühen Werken David Lynchs entwickelt Nimród Antals Film eine sogartige Wirkung und zieht den Zuschauer augenblicklich in seinen Bann. Im künstlichen Licht der Leuchtstoffröhren – denn in seiner Gänze spielt der Film jenseits des Tageslichts – erwächst daraus die faszinierende Studie eines Milieus, welches allein durch die grotesken Züge seiner involvierten Charaktere zur glossierenden Fiktion wird.

Die Variierungen des Tempos – gekennzeichnet durch den oft harten Schnitt – gehen einher mit den Stimmungsschwankungen der Protagonisten, reichen von heiter melancholisch bis abgrundtief zynisch. Die lose Erzählstruktur und der unbeständige Handlungsrahmen lassen die schmutzverkrustete Metro beinahe mystisch wirken, verwandeln den Untergrund der Hauptstadt Bukarest ist eine dunkle Scheinwelt. Die Bahnsteige bilden eine Art Hades, dessen umschließenden Flusslauf Styx das Schienensystem der U-Bahn. Als Totenfährmann Charon fungiert der schwarzverhüllte Mörder, dessen Identität auch am Ende nicht offenbart wird. Dafür aber offenbart „Kontroll“ in einer traumhaften Schlusssequenz märchenhafte Züge, wenn sich der freundliche Bär in einen Engel verwandelt und den gescholtenen Helden zurück ans Tageslicht führt.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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