Hanna Svensson – Blutsbande (Staffel 1) (S/N/D 2017)

Über die eigentümliche Klasse skandinavischer Krimiformate müssen wohl kaum mehr einleitende Worte verloren werden. Der „Nordic Noir“ hat sich als feste Instanz der Serienkultur etabliert und feiert weltumspannende Erfolge. Die erste Staffel der Reihe „Hanna Svensson“ fand einen prominenten Fürsprecher im britischen Kult-Komiker Ricky Gervais („After Life“), der in den sozialen Netzwerken eifrig von deren herausragender Qualität schwärmte – mit spürbarer Auswirkung auf die Einschaltquoten. Hierzulande erlangte der zu fünf Spielfilmen verschmolzene Zehnteiler weniger Aufmerksamkeit, erreichte im ZDF-Abendprogramm aber dennoch durchschnittlich rund zwei Millionen Zuschauer.  

Die vielleicht größte Stärke des packend konstruierten Thriller-Dramas liegt in der Figurierung der titelgebenden Hanna Svensson. Denn die von Marie Richardson („GSI – Spezialeinheit Göteborg“) nuanciert verkörperte Ermittlerin im Bereich Wirtschaftskriminalität ist ausnahmsweise keine psychisch angeschlagene Super-Polizistin, sondern eine kurz vor der (Zwangs-)Verrentung stehende Normalbürgerin mit eisenharten Prinzipien. Die führen im einleitenden Rückblick zum Zerwürfnis mit ihrem einzigen Sohn Christian (Adam Palsson, „Die Brücke“), der ob seiner Aktivitäten als Drogendealer von ihr bei den Polizeikollegen angeschwärzt wird und im Gefängnis landet. Mit absehbaren Folgen für den Familienfrieden.

In der Gegenwart der Geschichte steht sie in geheimem Liebesverhältnis mit dem Kollegen Sven (Johan Hedenberg, „Mord im Mittsommer“), der gegen verfeindete Motorrad-Clubs ermittelt (u. a. Christian Hillborg, „The Last Kingdom“). Als er auf offener Straße verschleppt wird, avanciert Hanna zum Mitglied des Ermittlungsteams. Über Svens Handy tritt sie mit einer vermeintlichen Informantin in Kontakt, die sich für den Zuschauer rasch als Christian entpuppt. Dessen Ziel ist die Infiltrierung der kriminellen kroatischen Familie Mimica, auf deren Wirken er durch den ehemaligen Knastkumpan Stefan (Peshang Rad, „Backstabbing for Beginners“) aufmerksam wurde. In der Gunst des homosexuellen Strippenziehers Davor (Alexej Manvelov, „Der sterbende Detektiv“) steigt der Spitzel schnell auf. Doch je weiter Christian in den Sog der Organisation gerät, desto schwerer fällt es, Recht und Unrecht zu trennen.       

Selbstredend läuft die Serie darauf hinaus, dass Hanna ihren Sohn in der gefahrvollen Position identifiziert und alles daran setzt, ihn zu schützen. Erschwert wird das Unterfangen jedoch durch einen Maulwurf im Polizeiapparat. Der verschuldet nicht allein Svens Ermordung, sondern nötigt Hanna mit dem eigenwilligen Kollegen Björn (Magnus Krepper, „A Cure for Wellness“) und der jungen Vorgesetzten Tina (Sofia Ledarp, „Verdict Revised“) dazu, die Ermittlungen gegen die Mimicas geheim zu halten. Weitere Spannungen für Christian ergeben sich aus seinem Verhältnis mit Mimica-Tochter Blanka (Sandra Redlaff), die eigentlich dem unberechenbaren Stefan versprochen ist.

„Blutsbande“ erweckt lange den Eindruck eines – bei aller Spannung und clever orchestrierten Dramatik – in seiner Entwicklung vorhersehbaren Krimiformats. Da ist der groß angelegte Plan des Balkan-Clans, der Schweden mit Rauschgift fluten soll. Oder die mörderische Verstrickung mit den Motorrad-Rockern, deren Kontakte in die Türkei wesentlicher Baustein des Expansionsprojekts sind. Ganz zu schweigen von Christians zunehmend aufwändigen Bestrebungen, sein Doppelleben vor den Mimicas geheim zu halten. Kurz vor dem Ende präsentiert die Serie jedoch eine brillante Wendung, die eine Vielzahl der zuvor als standardisiert unglaubwürdige Erzählschemata eingestuften Bestandteile einem tieferen Zweck unterwirft.

Die Konsequenz ist eine unerwartete Verschiebung der Kräfteverhältnisse, die Hanna letztlich zu verblüffend rigiden Mitteln greifen lässt, um ihren Sohn zu schützen. Die extraordinäre Qualität des mit ausreichend losen Enden für eine Fortsetzung versehenen ersten Kapitels offenbart sich daher erst auf der Zielgeraden. Im Gegensatz zu artverwandten Serien verfügt „Hanna Svensson“ nicht über die visuelle Extravaganz von Kinoproduktionen, egalisiert dies formale Attribut aber vorrangig durch das konstant hochkarätige Skript. Im Zusammenspiel mit Darstellern, die sich nicht scheuen, die ambivalenten Facetten ihrer Figuren deutlich herauszukehren, ergibt sich so ein unbedingtes Highlight der skandinavischen Serienkultur.

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

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