Guns N‘ Roses – „The Spaghetti Incident?“ (1993, Geffen)

Der Erfolg des „Use Your Illusions“-Doppelschlags (zusammen wurden beide Platten weltweit rund 24 Millionen Mal verkauft) konnte nicht über die Kritik hinwegtäuschen: zu viele Balladen, zu viele Lückenfüller. Und vor allem: zu wenig Rotz-Rock. Diese Vorwürfe konterte die Band 1993 mit „The Spaghetti Incident?“ (die Anführungsstriche sind Bestandteil des Titels), einem Cover-Album, das Songs von klassischen Punk- und Rock-Vorkämpfern enthält, die das musikalische Bewusstsein der seinerzeit sechs Musiker maßgeblich prägte.

Tatsächlich mangelt es der zwischen 1990 und 1993 – oftmals als Lockerungsertüchtigung zwischen „Use Your Illusion“-Sessions – eingespielten Scheibe nicht an Rotzigkeit. Wohl aber an bleibenden Eindrücken. Der Interpretationsspielraum treibt beim in 50’s-Rock’n’Roll-Manier vorgetragenen Opener „Since I Don’t Have You“ (THE SKYLINERS) oder dem ebenfalls rollend rockigen Höhepunkt „Human Being“ (THE NEW YORK DOLLS) überzeugende Blüten. Trotz gefällig Richtung Garage tendierenden Beiträgen wie „New Rose“ (THE DAMNED), „Raw Power“ (THE STOOGES), „Ain’t It Fun“ (THE DEAD BOYS), dem von Bassist Duff McKagan geplärrten „Attitute“ (MISFITS) oder „I Don’t Care About You“ (FEAR) laufen wiederum andere ins Leere, ohne echten Nachhall zu entwickeln – siehe etwa „The Farm“ (UK SUBS) oder der Mix „Buick Makane/Big Dumb Sex“ (T. REX/SOUNDGARDEN).

Das liegt auch daran, dass sich die kompromisslose Punk-Attitüde mancher Songs nicht reibungsfrei auf den Sound von GUNS N‘ ROSES übertragen lässt. Apropos Attitüde: Mit dem Hidden Track, einer Percussion-Interpretation des von Sektenführer Charles Manson geschriebenen „Look At Your Game, Girl“, sorgten Axl Rose & Co. für einen (weiteren) handfesten Skandal und konterten die massive Kritik u. a. mit Tantiemen-Spenden an Hinterbliebene von Mansons mörderischen Auswüchsen. In Summe ist auch „The Spaghetti Incident?“ mit der nötigen Wucht produziert, bietet aufgrund des adaptierten Ausgangsmaterials aber gerade dem gern ausschweifend agierenden Gitarristen Slash wenig Raum zur Auszeichnung (eine Ausnahme bildet „Hair of the Dog“ von NAZARETH).

Nach anhaltenden Querelen mit Frontmann Rose stiegen zwischen 1996 und 1997 sowohl McKagan und Slash als auch Drummer Matt Sorum aus. Bis zum Wiedervereinigungs-Album „Chinese Democracy“ (2008) sollte es das letzte offizielle Output des Rock-Klassikers bleiben. Dass der 2012 in die Ruhmeshalle des Rocks aufgenommen wurde, rüttelt aber ebenfalls nicht an der beständigen qualitativen Abwärtsentwicklung. Daher muss auch „The Spaghetti Incident?“ attestiert werden: nur für beinharte Fans.

Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

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