Wes Anderson hat ein Erfolgsrezept: Man nehme einen Haufen fantastischer Darsteller, völlig schräge Kostüme und ein Drehbuch, das vor abstrusen Ideen nur so strotzt. Der nun entstandene Film wird zwar nur von etwa einem drittel der Kinogänger gemocht werden, deren penetrantes Lachen wird allerdings den Rest des Saales ausfüllen. Der Rezensent versteht sich als einer dieser penetranten Kinogänger.
Steve Zissou (Bill Murray, „Lost in Translation“) ist Meeresforscher und Dokumentarfilmer. Doch leider verblasst sein Stern allmählich. Bei den Dreharbeiten für sein neuestes Werk über den Jaguarhai wird nicht nur sein bester Freund von besagtem Fisch gefressen – der Film fällt auch noch beim Publikum durch. Zissou plant daraufhin, den Fisch zu finden und ihn zu töten. Dies soll der zweite Teil seiner Dokumentation werden. Auf seinem Schiff, der Belafonte, sammelt er sein Team um sich, um für ein letztes großes Abenteuer in See zu stechen. Dieses Team besteht unter anderem aus seinem langjährigen Mitarbeiter Klaus Daimler (Willem Dafoe, „Platoon“), der schwangeren Journalistin Jane Winslett-Richardson (Cate Blanchett, „Der Herr der Ringe“) und seinem kürzlich gefundenen Sohn Ned Plimpton, aka Kingsely Zissou (Owen Wilson, „Starsky & Hutch“). Doch viele Gefahren lauern auf der Jagd nach dem Jaguarhai.
„Die Tiefseetaucher“ funktioniert als Zusammenspiel nahezu aller Komponenten. Die im Drehbuch angelegten Charaktere werden durch die Schauspieler grandios zum Leben erweckt. Bill Murray spielt hier zwar den immer gleichen Typ Mensch, auf den er spätestens seit „Und täglich grüßt das Murmeltier“ abonniert ist – er macht das aber so umwerfend komisch, dass das den geneigten Zuschauer kaum tangieren wird. Besonders hervorzuheben ist auch Willem Dafoe, der als deutscher Mitarbeiter auf Zissous Schiff teilweise eine verletzliche Seele, andererseits den harten Mann gibt. Im Original spricht er mit einem deutschen Dialekt, der in keinem Zweiter Weltkriegsfilm auffallen würde. In der deutschen Synchronfassung schwäbelt er, und sogar das ist noch lustig.
Die Meute an Charakteren im Hintergrund rundet das Ensemble ab. Da wären einerseits die „Praktikanten“, die auch nur als solche angesprochen werden. Das sind vier Studenten der Universität von Nordalaska, die unbezahlt mitarbeiten, um einen Schein zu bekommen. Das sind Rollen, mit denen sich jeder Student einwandfrei identifizieren kann. Auch das in der ersten hälfte des Films nur oben ohne in Erscheinung tretende Scriptgirl und der stets einen Turban tragende Kameramann Vikram sind ein wahrer Quell an Inspiration. Nicht zu vergessen die mit Kameras ausgestatteten Delfine, die laut Zissou „den Beweis für hohe Intelligenz noch schuldig sind“. Unterlegt wird dieses Aufgebot der guten Laune mit auf portugiesisch vorgetragenen Liedern von David Bowie und entzückend beschissener Elektromusik, die im besten Fall als Gemafrei bezeichnet werden kann.
Nicht nur dem aufgeweckten Kinogänger wird auffallen, dass der ewig kiffende Zissou eine Anlehnung an den von uns allen geliebten und verehrten Jacques Cousteau darstellt, der uns mit seinen Filmen aus den 50ern und 60ern die geheimnisvolle Welt jenseits der Wasseroberfläche ein bisschen näher brachte. Entsprechend sehen auch die zissou’schen Dokumentationen aus wie frühe Relikte des Farbfilms. Regisseur Wes Anderson lässt es sich natürlich auch nicht nehmen, Jacques Cousteau und der Cousteau-Gesellschaft zu danken, die an der Entstehung dieses Films „in keiner Weise beteiligt“ waren. „Die Tiefseetaucher“ ist sicherlich eine Geschmackssache. Der Humor wird nicht den Geschmack jedes Kinogängers finden, aber nichtsdestotrotz ist der Film zum brüllen komisch.
(Julian)
„I’m going to go on an overnight drunk, and in 10 days I’m going to set out to find the shark that ate my friend and destroy it.” – Steve Zissou
Wes Anderson ist die Personifizierung cineastischer Andersartigkeit. Seine Filme sind sonderbar und verschroben an der Oberfläche, vielschichtig und voll grotesker Philosophie darunter. Bereits mit seinem genialischen Zweitwerk „Rushmore“ erregte der 35–jährige Regisseur größere Aufmerksamkeit und begründete darüber hinaus seine Zusammenarbeit mit Bill Murray. Auch sein vierter Film ist ganz und gar auf die Präsenz des „Lost in Translation“-Stars zugeschnitten – und verblüfft einmal mehr durch die federleichte Ignorierung narrativer Konventionen.
Steve Zissou (Bill Murray, „Was ist mit Bob?“) ist mit Leib und Seele Ozeanograph, eine Choryphäe im Stile eines Jacques Cousteau. Doch stehen die Dinge mehr schlecht als recht, sinkt der Stern des egozentrischen Dokumentarfilmers seit fast 10 Jahren unaufhörlich. Obendrein fiel Steves bester Freund Esteban du Plantier (Seymour Cassel, „Animal Factory“) beim Dreh seines letzten Films einer unbekannten Hai-Spezies – dem Jaguar-Hai – zum Opfer. In einer Fortsetzung will Steve nicht nur die Existenz des schwimmenden Jägers belegen, sondern selbigen auch gleich in seine Einzelteile zerlegen.
Allerdings bringt bereits die Finanzierung des Projektes Probleme mit sich. Steves entfremdete Frau Eleanor (Anjelica Houston, „Blood Work“) – eigentlicher Kopf hinter „Team Zissou“ – ist nicht bereit, den Film zu finanzieren und will ihren Mann statt Hilfeleistung lieber schnellstmöglich verlassen. Da erweist sich das Auftauchen des Piloten Ned Plimpton (Owen Wilson, „Starsky & Hutch“), mutmaßlich unehelicher Sohn Zissous, als glückliche Fügung. Denn Ned unterstützt das Vorhaben mit 270.000 Dollar aus eigener Tasche und wird von Steve gleich mit an Bord des maroden Forschungsschiffs Belafonte geholt. Sehr zum Leidwesen des spröden deutschen Bordingenieurs Klaus Daimler (Wilem Dafoe, „Shadow of the Vampire“).
Um Steve und seinem Vorhaben größtmögliche Aufmerksamkeit zu sichern, stößt auch die schwangere Journalistin Jane Winslett-Richardson (Cate Blanchett, „The Aviator“) zum „Team Zissou“ hinzu. Der von Finanzier Oseary Drakoulias (Michael Gambon, „Open Range“) an Bord der Belafonte gesandte Finanzverwalter Bill Ubel (Bud Cort, „Pollock“) komplettiert die illustre Truppe und soll gleichzeitig die Investition vor Schaden bewahren. Doch nimmt das Chaos auf hoher See seinen unvermeidlichen Lauf: erst plündert die Gruppe aufgrund von veraltetem Arbeitsgerät die Forschungsstation von Steves verhasstem Konkurrenten Alistair Hennessey (Jeff Goldblum, „Igby“), dann wird die Belafonte auf der Jagd nach dem mörderischen Hai von skrupellosen Piraten gekapert.
Der exzentrische Humor Wes Andersons („Die Royal Tenenbaums“) entfaltet sich nicht – oder nur selten – über situationskomische Elemente, sondern breitet sich mit zunehmender Beleuchtung im Charakter der überspitzten Figuren aus. Das macht seine Filme für ein Massenpublikum nur schwer zugänglich, eröffnet auf der anderen Seite aber völlig neue Erzählperspektiven. Eher subtil keimen Konflikte auf – beispielsweise wenn Vater und vermeintlicher Sohn um die Gunst der schwangeren Reporterin buhlen – und verlagern die Handlung auf unzählige Subplots. Diese scheinbar lose Struktur unterstreicht in ihrer episodischen Verknüpfung nahezu perfekt den semidokumentarischen Touch der irrwitzigen Tragikomödie.
„Die Tiefseetaucher“ ist melancholischer Ensemblefilm und urkomische Ein-Mann-Show Bill Murrays – der sich mit stoischer Mine und regem Drogenkonsum durch die fast zweistündige Spielzeit grantelt – zugleich. Mit Sarkasmus und beiläufiger Dramaturgie verliert sich die namhafte Besetzung zwischen animierten Unterwasserwelten und charakterlichen Defiziten. Dieser Mix aus skurrilen Figuren und stilistischer Experimentierfreude – man beachte allein Wes Andersons Auffassung von Actionsequenzen – unterstreicht den Status des Regisseurs als innovatives Multitalent, selbst wenn sich der Übergang von Komik auf Tragik nicht immer reibungslos vollzieht.
(Thomas)
Wertung: (8 / 10)