Vicky Cristina Barcelona (USA/E 2008)

vicky-cristina-barcelonaIn Woody Allens szenischem Setzkasten prallen mehr denn je Temperamente und Auffassungen gegeneinander. „Vicky Cristina Barcelona“ zeigt den neurotischen Meister des US-Autorenkinos in unerwartet großer Form, was den innereuropäischen Tapetenwechsel von England – Schauplatz seiner letzten drei Filme – nach Spanien vollauf rechtfertigt. Austragungsort des tragikomischen Liebesreigens ist Barcelona, wo Allen mit zwei amerikanischen Touristinnen der Frage nachgeht, ob lediglich die unerfüllte Liebe romantisch sein kann.

Der heitere Feldversuch wird von einem männlichen Off-Erzähler begleitet, der zwischen den Szenen Gedanken und Gefühlsregungen der Figuren offenbart. Er ist das Bindeglied zur Banalität, als allwissender Beobachter Ausdruck einer trivialen Distanz zwischen der Realität des Zuschauers und der der Protagonisten. Allen weist so den Anspruch einer allgemeinen Gültigkeit konsequent von sich und konfligiert zu keiner Zeit mit den süffisant aufgefahrenen Klischees von Land und Leuten. Denn sein Spanien scheint sich ausschließlich um Wein, Weib und Antonio Gaudi zu drehen.

Nicht zu vergessen traditionelle Gitarrenmusik, die doch so sehr das Herz von Vicky (Rebecca Hall, „The Prestige“) erweicht. Die Studentin der katalanischen Identität verbringt den Sommer bei entfernten Verwandten in Spanien und hat Freundin Cristina (Allens Muse Scarlett Johansson, „Match Point“) als Begleitung eingeladen. Auch ohne die begleitende Erzählerstimme treten die Unterschiede zwischen den jungen Frauen rasch zutage. Die brünette Vicky braucht Ordnung und Sicherheit, die ihr ein langweiliger Verlobter zu sichern scheint. Die blonde Cristina hingegen ist impulsiv, abenteuerlustig und ungebunden.

Eher zufällig lernen die beiden den Maler Juan Antonio (Javier Bardem, „No Country for Old Men“) kennen, der sie prompt zu einem gemeinsamen Wochenende mit Kultur und Sex einlädt. Vicky lehnt dankend ab, wird von der interessierten Cristina aber dennoch überzeugt. Eine in Teilen unterdrückte (Vicky), in Teilen exzessiv verwirklichte (Cristina) Dreiecksbeziehung verdichtet sich, bei der auch des Künstlers labile Ex-Gemahlin Maria Elena (Penélope Cruz, „Volver“) eine tragende Rolle zukommt. Der feurigen Performance der Cruz haben Hall und Johansson dabei trotz ansprechender Leistung wenig entgegenzusetzen.

Natürlich errichten die luftig leichte Inszenierung und die in ihrer Summe selten realitätsnahen Charaktere ein amouröses Luftschloss von gesteigerter Künstlichkeit. Streng genommen war Woody Allen aber nur ausgesprochen selten ein Filmemacher quasi-dokumentarischer Authentizität. „Vicky Cristina Barcelona“ passt darum so rundum perfekt in sein Gesamtwerk, dass es zugleich sein herzlichster und aufrichtigster Film seit langem wurde. Und damit durfte nach den jüngsten Ausflügen ins vereinte Königreich wahrlich nicht gerechnet werden.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

scroll to top