Da sag noch einer, im deutschsprachigen Raum verstehe man sich nicht auf Horrorfilme. Obwohl die Bestsellerverfilmung „Tannöd“, basierend auf Andrea Maria Schenkels gleichnamigem Kriminalroman, dem realen Schrecken nachspürt. Der Stoff geht auf einen wahren Fall zurück, einen bis heute nicht aufgeklärten sechsfachen Mord, der sich 1922 auf dem oberbayrischen Einödhof Hinterkaifeck ereignete. Schenkel verlagerte die Geschehnisse ins Deutschland der Nachkriegszeit und markierte das Schweigen über die Gräuel des Naziregimes als Nährboden für die Verdrängung neuer Verbrechen.
Die Schweizer Regisseurin Bettina Oberli („Die Herbstzeitlosen“) folgt der Autorin und zeigt die Morde in ausschnitthaften Rückblenden. Das Ambiente wirkt wie klassisches Terrorkino. Düstere nebelverhangene Wälder, der einsame Hof, die von unbekannter Hand grausam erschlagene Familie samt ihrer Magd. Zwei Jahre später, in kontrastreicher sonnendurchfluteter Helligkeit, kehrt Altenpflegerin Kathrin (Julia Jentsch, „Sophie Scholl“) zur Beerdigung der Mutter in den Kreis jener dörflichen Gemeinschaft zurück, die versucht die schrecklichen Ereignisse auf sich beruhen zu lassen. Sie wirkt wie ein Fremdkörper, der die starre Fassade ohne großes Zutun aufbricht und die dahinter klaffenden menschlichen Abgründe entblößt.
Julia Jentsch muss sich nicht sonderlich anstrengen, um die auswärtige Fragenstellerin mit einem Mindestmaß an Überzeugungskraft auszustatten. Dabei ist sie keine kriminologische Heldin, sondern Stein eines hinterfragenden Anstoßes, der die Bewohner des Landstrichs zwingt ihre Masken fallen zu lassen. Im Buch gab es ihren Charakter nicht. Aber auch auf große Publikumskreise zielende Bestseller-Verfilmungen bedürfen neben einer linearen Erzählweise ohne sperrige Betrachtungssprünge einer Bezugsfigur.
Ihre Verknüpfungspunkte zur landwirtschaftlichen Gemeinschaft wirken nicht selten konstruiert. Doch spielt die Jentsch angenehm zurückhaltend, so dass sie als (entscheidender) Teil des Ensembles nicht zwangsläufig in den Vordergrund strebt. Zweifel kommen ihr durch die ungeliebte Traudl (großartig: Monica Bleibtreu, „Hilde“), Schwester der in der Mordnacht getöteten Magd. Sie ist die einzige im Dorf, die mit Verdächtigungen nicht hinter dem Berg hält. Zögerliche Bestätigung erhält sie in den Rückblenden, die die ermordete Familie Danner als ausgegrenzte Sippschaft zeigt, deren väterliche Despotie auch vor der inzestuösen Beziehung zu Tochter Barbara (vielschichtig: Brigitte Hobmeier, „Die Perlmutterfarbe“) nicht zurückschreckt.
Bei allen Abstrichen ist „Tannöd“ ein atmosphärischer und in seinen besten Momenten beklemmender Film geworden. Dass sich daraus, im Gegensatz zu Michael Hanekes „Das weiße Band“, keine allegorischen Ableitungspotentiale auf die deutsche Gesellschaft ergeben, mindert nicht die unterkühlte Spannung, mit der Oberli ihre schlussendlich wenig subtile Schauermär zu einem Ende ohne offene Fragen führt. Die Optik mag bisweilen mehr Eindruck schinden als der Inhalt. Ihre Wirkung verfehlt die etwas vordergründig entlarvende Schauergeschichte jedoch nicht.
Wertung: (7 / 10)