O Captain! My Captain! – Sleep Well Soon (2020, Fond of Life Records)

Der Emo von gestern muss heute keineswegs peinlich sein. Zumindest dann nicht, wenn er abseits dick aufgetragener Kajalstriche angesiedelt ist. Wird er auf seine rockige Wesensart zentriert, weckt er neben nostalgischen Gefühlsregungen eine zeitlose Vertrautheit. Sie sorgt für sofortige Orientierung. Auch bei O CAPTAIN! MY CAPTAIN!, deren jüngstes Album „Sleep Well Soon“ gern zurückschaut und den Indie-Rock der späten Neunziger zitiert. Da scheinen SAVES THE DAY durch, samt punkiger Anflüge, aber momentweise auch die frühen JIMMY EAT WORLD.

Die Reduktion auf das bloße Retro-Moment wird Platte und Urhebern allerdings nicht gerecht. Denn die zehn Songs bieten mehr, genauer die Emanzipation des oben genannten Sounds, die im neuen Jahrtausend bereits heimische Combos wie GHOST OF TOM JOAD oder GOODBYE FAIRGROUND umwehte. Mit den Zweitgenannten teilen O CAPTAIN! MY CAPTAIN! zudem den Hang zu folkigen (An-)Klängen. Im Gegensatz zu den Vorgängern erscheinen diese auf „Sleep Well Soon“ aber nur wie ein Zaungast (siehe „Bluebird“). So steht denn auch weitgehend der eigenwillig aufgezogene Rock im Mittelpunkt.

Dabei offenbaren Beiträge wie „And It Was Still Hot“, „Skyscraper“, „Five Weeks“ oder „Bad Ghosts“ ein ebenso stattliches Maß an Gefälligkeit wie an Abwechslung. Dazu tragen auch das akustische „Strangers‘ Beds“ und die abschließende Ballade „Love the Night“ bei. Die Hitdichte scheint sicher noch ausbaufähig, doch ist den punktiert mit Piano, Trompete oder Mundharmonika veredelten Stücken in Sachen Leidenschaft keinerlei Versäumnis vorzuwerfen. Entsprechend willkommen erscheint die Veränderung, die O CAPTAIN! MY CAPTAIN! ihrem Sound zuteilwerden lassen. Auf derlei Pfaden lässt sich der Emo jedenfalls auch lange nach seiner Banalisierung noch sinnhaft weiterentwickeln.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

scroll to top