Nightwatch – Nachtwache (DK 1994)

Der europäische Thriller hat zahlreiche Klassiker hervorgebracht. In Italien sind einige davon unter dem Subgenre des Giallo subsumiert. Dessen Einfluss reicht jedoch weit über die Grenzen des Urheberlandes hinaus. Ein höchst erfolgreiches Beispiel ist „Nachtwache“, das Debüt von Autor und Regisseur Ole Bornedal (inszenierte 1997 auch das US-Remake „Freeze“). Die dänische Produktion, die an den heimischen Kinokassen erfolgreicher Abschnitt als der zeitgleich gezeigte „Jurassic Park“ (1993), orientiert sich abseits der Gialli auch am Spannungskino Hollywoods. Ein sichtbares Vorbild: Stanley Kubricks „The Shining“ (1980).

Die große Stärke von Bornedals Schocker ist denn auch die Atmosphäre, die durch suggestive Bilder gekonnt an den Nerven des Publikums sägt. Damit wird manch erzählerisches Klischee überlagert, wenn Jurastudent Martin (das Debüt des späteren „Game of Thrones“-Stars Nikolaj Coster-Waldau) in Kopenhagen einen Job als Nachtwächter in der Gerichtsmedizin antritt. Teil der Routine sind Kontrollgänge durch das verwaiste Gebäude. Deren „Höhepunkt“ ist der Blick in die Leichenhalle. Dort finden sich nicht nur unter Laken verborgene Tote, sondern auch eine Alarmvorrichtung, falls unbeabsichtigt ein noch lebender Mensch im Kühlraum platziert werden sollte. Aber das, so erfährt Martin bei seiner Einführung, passiert nie.

Was von solchen Aussagen im Spannungskino zu halten ist, sollte auf der Hand liegen. Trotzdem destilliert Bornedal aus dem Zusammenwirken von Angedeutetem und Offensichtlichem eine beklemmende Atmosphäre. Treiber der Geschichte sind indes zwei Aspekte: Ein Wettstreit zwischen Martin und seinem besten Freund Jens (feierte ebenfalls den Startschuss einer Weltkarriere: Kim Bodnia, „Die Brücke“), die sich über dreiste Mutproben an die Freiheit klammern, die sie in ihren Beziehungen – Martin ist mit Schauspielerin Kalinka (Sofie Gråbøl, „Flickering Lights“) liiert, Jens mit Pastorin Lotte (Lotte Andersen, „Oh Happy Day“) – verloren zu haben glauben. Das schaukelt sich über Kneipenprovokationen (in einer Nebenrolle: Ulrich Thomsen, „Adams Äpfel“) und einem Abend mit der Prostituierten Joyce (Bodnias spätere Gattin Rikke Louise Anderson, „Bleeder“) zu Verdachtsmomenten in einer Mordserie hoch.

Denn der zweite Treiber ist ein Serienkiller, der junge Frauen aus dem Rotlichtmilieu in Martins Arbeitsstätte befördert. Durch den auskunftswilligen Ermittler Wörmer (Ulf Pilgaard, „Brain X Change“) gerät er näher an des Mörders Wirken, als ihm lieb sein kann. In Ermangelung an Verdächtigen – Bornedal hält die Figurenzahl im überschaubaren Bereich – scheint die Auflösung zwar durchaus überraschend, zugleich aber auch seltsam alternativlos. Die seinerzeit unverbrauchte Besetzung und die kongenial auf Suspense pochende Inszenierung wiegen das konstruierte Schlussdrittel aber leichter Hand auf. So ist „Nachtwache“ ungeachtet kleinerer Abstriche ein Paradebeispiel für Spannungserzeugung abseits kalkulierter Ekeleffekte – und damit ein unbestrittener Klassiker.

Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

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