Interview mit Werner von Atlantic Empire / Hirata Estate / Yarborough / Run, Melos! … (Oktober 2023)

Ein Kopf, viele Projekte

Hallo Werner, seit unserem letzten Digital-Plausch sind einige Monde vergangen. Seitdem haben wieder verschiedene DIY-Kollektive und -EPs mit deiner Beteiligung das Licht der Web-Welt erblickt. Kannst du zur besseren Orientierung einen kurzen Überblick bieten?

Werner: Junge, du stellst wieder Fragen. Ich muss jetzt erstmal nachschauen, wann ich das letzte Mal vor dem HMD-Tribunal gestanden habe. Ich glaube, es müsste 2021 gewesen sein.

Seitdem sind die ganzen BOGDAN ALLSTARS-Sachen mit anständigem Gesang erschienen (die „Okaye Songs okay gesungen“ EP und das Album „Solides Mittelmaß“) und ich habe WURSTBLINKER aus der Taufe gehoben, was quasi dasselbe nochmal in noch dümmer mit schlechterer Produktion ist und mit einer Besetzung an Mitgliedern, die im Prinzip ist „Jeder, den ich zu greifen bekomme“. Also meistens Pat, der auch bei RUN, MELOS! Gitarre spielt und eigentlich der einzige andere Mensch in meinem Umfeld ist, der eine gewisse Motivation hat, überhaupt Musik zu machen.

Jetzt, wo ich drüber nachdenke: Eigentlich habe ich in letzter Zeit fast nur Sachen gemacht, wo ich viel alleine machen konnte. Mit ATLANTIC EMPIRE sind zwei Instrumental-EPs erschienen und dann habe ich noch mit HIRATA ESTATE angefangen, selbst rumzuschreien. Aber ich habe geschummelt und gesehen, dass unten noch mehr Fragen dazu kommen und halte jetzt mal lieber die Schnauze, bevor ich mein ganzes Pulver schon bei der ersten Frage verschieße.

Stilistisch war wieder einiges dabei, vom Screamo bis zum instrumentalen Post-Rock. Meine persönlichen Highlights waren YARBOROUGH („Dolphins Are Useless“ ist ein echter Hammer!) und die letzte EP von ATLANTIC EMPIRE. Wie gestaltet sich die Arbeit an den verschiedenen Projekten, gerade mit Blick auf die unterschiedlichen Sound-Ausprägungen?

Werner: Es ist meistens so, dass ich mich hinsetze und anfange, irgendwas auf der Gitarre zu spielen, wo ich mir irgendwann denke „Hey, das könnte was für Bandprojekt Nummer 12 oder auch für Bandprojekt 15 sein“ und dann gehe ich meistens einfach immer in diese Richtung weiter, bis ich eine EP oder ein Album fertig und oder keine Lust mehr habe. Ich hatte zum Beispiel die Idee, eine neue BOGDAN-EP zu machen, aber nach zwei Songs ist mir irgendwie etwas die Motivation abhandengekommen und ich habe es erst einmal wieder auf Eis gelegt.

Aber grundlegend sind die ganzen unterschiedlichen Bands und Nebenprojekte jetzt stilistisch ja auch nicht so unglaublich unterschiedlich. Ich habe schon einen relativ gefestigten Kern vom Stil her und die Unterschiede kommen meistens eher davon, wer noch involviert ist. Die Unterschiede sind vermutlich vor allem, wie viel ich selbst an den Songs arbeite: Die WURSTBLINKER-Songs sind innerhalb von 45 Minuten hingeschissen meistens und bei den Sachen von HIRATA ESTATE habe ich mir musikalisch zwar Mühe gegeben, aber bei den Texten eigentlich nur auf „Ich brauche irgendwas, was ich auf den Takt schreien kann“ Wert gelegt, ohne dass da jetzt viel Überlegung drinstecken würde.

Einen beträchtlichen Teil der Produktion leistest du am Computer. Unterscheidest du dabei klar zwischen übungsbedingten Just-for-Fun-Projekten und solchen mit größerer Ambition?

Werner: Also es gibt hinsichtlich der Produktion inzwischen eigentlich nur noch zwei Ausreißer: Die Songs von WURSTBLINKER sind wie gesagt komplett hingeschissen, wobei ich mir einrede, dass das Teil der Ästhetik wäre. RUN, MELOS! ist der Ausreißer in die andere Richtung. Das recorden und mischen Leute, die wirklich wissen, was sie da machen. Aber dafür dauert es natürlich ewig. Und bei allen anderen Sachen ist es eher so, dass ich das einfach selbst mache, weil es schneller geht und es sich letztendlich eh niemand anhört.

Ursprünglich sollte YARBOROUGH ja den Namen STUPID SEXY FLANDERS tragen. Was sprach letztlich dagegen?

Werner: Vermutlich, dass wir nicht cool genug waren, das wirklich durchzuziehen (lacht). Ich glaube, ausschlaggebend war eher, dass wir uns gedacht haben, dass die Songs doch lyrisch und musikalisch zu weit auf der Schiene „ernstgemeint“ unterwegs sind, als dass wir uns einen lustigen Namen hätten geben wollen. Aber gute Nachrichten für alle HMD-Leser: Der Name STUPID SEXY FLANDERS ist nach wie vor zu haben!

Dass der Gesang nicht dein größtes Pfund ist, ließ sich beim ersten Gehversuch von BOGDAN erkennen. Wie schwer ist es, die sing- und schreiwilligen Helfer*innen in deinem persönlichen Umfeld dazu zu bewegen, bei jeder neuen Idee wieder ans Mikro zu treten?

Werner: Was soll das denn heißen? Absolute Frechheit. Sir, wir sehen uns bei Morgengrauen zum Duell.

Sänger*innen sind die Hölle, ganz ehrlich. Wenn meine eigene Erfahrung repräsentativ ist, dann sind sämtliche Menschen der Welt, die singen können, 180 Prozent ihrer Zeit mit Kindern, Job, Umzügen, Krankheiten, Alieninvasionen, Chaturbate-Karriere oder den Spezialisierungstendenzen gewisser Insektenarten beschäftigt. Ich habe ja immer noch ein bisschen die Verschwörungstheorie, dass es da draußen Millionen Menschen gibt, die eigentlich singen könnten, aber sich nicht trauen, das wirklich mit eigenen Songs zu versuchen. Aber mir fehlt natürlich auch die zündende Idee, diesen Personenkreis zu aktivieren.

Gesang und Schlagzeug sind generell immer am schlechtesten greifbar, aber die Drums kann ich inzwischen zumindest einfach durch eine Midi-Spur ersetzen, beim Gesang ist die Technologie leider noch nicht so weit.

Aber vielleicht ist der Grund, dass ich in den Departments so Probleme habe, auch einfach, dass niemand wirklich Lust hat, sich an dem musikalischen Mist zu beteiligen, den ich so fabriziere. Aber der Verdacht bleibt bitte unter uns.

Bei „Now Is the Envy of All of the Dead“, der jüngsten EP von ATLANTIC EMPIRE hast du, anders als bei den beiden Vorgängern, wieder komplett auf Vocals verzichtet. Gibt es dazu einen Hintergrund?

Werner: Ja, dass Menschen, die singen können, die Hölle sind und ich so wenig mit diesem Dreckspack zu tun haben will wie möglich. Außerdem hat es sich bei keinem Song so richtig angeboten, das war bei den EPs davor etwas anders.

Ein bewährtes Thema bleibt die für DIY-Musikschaffende spärliche Aufmerksamkeitsgenerierung. Gab es bei den obengenannten Projekten Ausschläge nach oben zu verzeichnen?

Werner: Also die HIRATE ESTATE-EP ist seit Anfang September bei Spotify und hat das Projekt von null auf vier monatliche Hörer katapultiert, was ein ziemlich gewaltiger Anstieg ist – also rein prozentual betrachtet. 

Wenn es nach dem Interview hier fünf monatliche Hörer sind: Danke an DICH, wenn du das Interview bis hierhin gelesen hast, ich liebe dich.

Bei der Band- und Songbetitelung können Serien- und Gamer-Nerds wieder munter im Kreis grinsen. Wohin wiesen die verschiedenen Anspielungen in der jüngeren Vergangenheit?

Werner: In der jüngeren Vergangenheit ist tatsächlich das Anspielungs-Game etwas eingeschlafen. Ich mache dafür vor allem die Tatsache verantwortlich, dass die neuen Folgen „Futurama“ alle Scheiße sind und ich daraus nichts für Songtitel klauen möchte.

Aber bei den drei Alben, die im Moment noch mit RUN, MELOS!, YARBOROUGH und MANEATER MILDRED in der Pipeline sind, können Fans von „Persona 4“, „Bob’s Burgers“, „Pop Team Epic“, Memes im Allgemeinen oder From Software vermutlich wieder das ein oder andere finden. Außerdem ist eine ganze Schublade voll Songtitel einfach irgendwo aus den Youtube-Videos von Jacob Geller geklaut – so wie auch die letzten beiden EP-Titel von ATLANTIC EMPIRE.

Die bekannteste Band mit deiner Beteiligung bleibt RUN, MELOS!. Welche Entwicklungen/Neuigkeiten gibt es von dieser Seite?

Werner: Ich glaube, während ich die letzten drei Alben und fünf EPs geschrieben und/oder veröffentlicht habe, sind wir bei RUN, MELOS! zwei Songs voran gekommen. Wir nehmen im Moment für ein Album auf, aber das dauert vermutlich noch einige Zeit, weil uns auch gerade wieder die Sängerin umzugsbedingt abhandengekommen ist.

Es ist aber generell irgendwie der Fluch dieser Band, dass uns nach jedem Release irgendein Bandmitglied abhanden kommt. Diesmal ist es halt nur schon vorher. Wobei wir uns noch nicht so ganz sicher sind, ob wir es vielleicht doch mal mit einer musikalischen Fernbeziehung versuchen wollen.

Wie hoch stehen die Chancen, dass es abseits von RUN, MELOS! andere der erwähnten Bands je auf die Bühne schaffen?

Werner: Ich denke, die Chance liegt mehr oder weniger bei 0. Abgesehen davon, dass ich einen Großteil bei den anderen Projekten genau deshalb alleine mache, damit ich mich nicht mit anderen Leuten rumärgern muss, bin ich körperlich inzwischen mit fast 40 auch abgefuckt genug, dass ich lieber auf dem Sofa sitze als auf der Bühne zu stehen.

Ich habe jahrelang dafür gekämpft, „Ich find‘ Karate auch gut“ von dem BOGDAN-Album zumindest in die Setliste von RUN, MELOS! zu bekommen, aber das ist leider an den anderen Leuten gescheitert. Außer an Pat. Deshalb ist Pat mein Lieblings-Bandmitglied, der erkennt einfach Qualitäts-Deutschpunk.

Welche Musikprojekte treiben dich aktuell um?

Werner: Also bei meinen eigenen Sachen: Ich bastele grade an einer zweiten EP von HIRATA ESTATE. Ich bin beim Shouten noch lange nicht da, wo ich hinmöchte und probiere da grade noch relativ viel rum, was es für mich interessant macht. Auch hinsichtlich der Frage, in welche Stilrichtung das Ganze genau zeigen soll. Ich glaube, die zweite EP wird etwas melodischer sein, weil ich versuchen will, die Shouts auch etwas mehr in die Richtung zu ziehen. Achso und bei YARBOROUGH ist ein Album eigentlich mehr oder weniger fertig, allerdings fehlt uns da im Moment auch wieder jemand, der den Quatsch singen möchte.

Auf der Seite als Musikhörer treiben mich im Moment PLEBEIAN GRANDSTAND um, die ich auf Tip von David, der bei RUN, MELOS! Drums spielt (und mein einziger Verbündeter bei Genres wie Screamo oder Black Metal ist), entdeckt habe. Gerade das letzte Album ist einfach die böseste, düsterste Musik, die ich je gehört habe. Ich habe schon drüber nachgedacht, nochmal ein Review zu schreiben, aber bisher habe ich nur den Satz „löst das Versprechen von Black Metal voll ein“ und eigentlich reicht der auch. Abgesehen davon: Das neue Album von THE CALLOUS DAOBOYS ist auch sehr schön geworden.

Ohne Claus-Lüer-Frage geht es nicht: Was hältst du von der soundtechnisch „kernsanierten“ Neuauflage des KNOCHENFABRIK-Klassikers „Ameisenstaat“, bei dem nachträglich neu eingespielte Gitarren und eingegrölte Chöre beigemischt wurden?

Werner: Auf die Frage freue ich mich immer besonders. Also ich kann es schlecht in Worte fassen, aber irgendwas stört mich an dem ganzen Ding. Ich glaube, es liegt daran, dass man die einzelnen Elemente zu gut raushören kann. Die Original „Ameisenstaat“ ist ein bisschen so, als würde die Band soundtechnisch hinter einer Nebelmaschine stehen und jetzt ist der Nebel weg und du siehst, dass da eigentlich auch nur so ein Dulli mit Gitarre steht. Ich lehne mich jetzt sogar mal so weit aus dem Fenster, dass ich behaupten würde, dass die neue KNOCHENFABRIK-Scheibe auch davon profitiert hätte, wenn die mit einem Playmobil-Recorder aufgenommen worden wäre.

Und zum Abschluss: Sonst noch was?

Werner: „Cards Against Humanity“ ist ein Malen-nach-Zahlen-Baukasten für Menschen, die es selbst nicht hinbekommen, einen anständigen Witz zu konstruieren!

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