Guns N‘ Roses – G N‘ R Lies (1988, Geffen)

Was tun, wenn sich das Debütalbum als kommerziell derart erfolgreich erweist, dass der Rock-Olymp sogleich seine Pforten öffnet? Ganz klar: nachlegen! Nur braucht die Produktion neuer Musik Zeit. Ein probates Überbrückungsmittel markieren Outputs aus der Zeit vor dem großen Durchbruch. Im Falle von GUNS N‘ ROSES bedeutete dies die 1986er Debüt-EP „Live ?!*@ Like a Suicide“, die nach der durchschlagenden Wirkung von „Appetite for Destruction“ (1987) unter dem Titel „G N‘ R Lies“ neu aufgelegt wurde. Als Ergänzung der vier EP-Tracks, die im Studio eingespielt und anschließend mit Live-Publikumsgeräuschen unterlegt wurden, finden sich darauf vier Akustik-Nummern. In der Zusammenstellung also ein durchaus entdeckungswürdiges Paket. Wenn auch eines mit Abstrichen.

Dass Axl Rose & Co. immer für einen Skandal zu haben waren, belegt das Finalstück „One in a Million“, das ob des rassistisch und mehr noch homophob erscheinenden Textes die Gemüter erhitzte. So heißt es: „Immigrants and faggots, they make no sense to me. They come to our country, and think they’ll do as they please. Like start some mini-Iran or spread some fucking disease. And they talk so many goddamn ways, it’s all Greek to me.” In der Gegenwart würde ein solcher Titel das karrieristische Abseits bedeuten. In den ausklingenden 1980ern blieb es beim öffentlichen Aufschrei – und der Ausladung von einem Benefiz-Konzert der Organisation Gay Men’s Health Crisis. Dem Erfolg stand all das nicht im Wege: Die Platte erreichte allein in den USA fünffachen Platinstatus und wurde u. a. in Deutschland und Japan vergoldet.

Das eröffnende Song-Quartett von „Live ?!*@ Like a Suicide“ erweist sich als solider Startschuss einer Weltkarriere. Ursprünglich mit einer Auflage von 10.000 CD-Einheiten über das bandeigene Label UZI Suicide veröffentlicht, wurde es erst in der Zweitverwertung Teil des Erfolgswegs von GUNS N‘ ROSES. Der Opener „Reckless Life“ stammt eigentlich von der Band HOLLYWOOD ROSE, die durch die Beteiligung nahezu sämtlicher Mitglieder als Vorgänger-Combo bezeichnet werden kann. Der stärkste Beitrag, „Nice Boys“, ist ein Cover von ROSE TATTOO, während „Mama Kin“ auf AEROSMITH zurückgeht. Das verbleibende „Move to the City“ stützt den Blues-Rock-Einfluss, dem die Hard-Rocker in unterschiedlicher Gewichtung stets treu blieben.

Der Akustik-Teil wird von der einzigen Singleauskopplung „Patience“ eröffnet, die der emotionalen Seite Vorschub leistet. Das Richtung Country tendierende, eine Beziehung sarkastisch mit Mord quittierende „Used to Love Her“ sowie „You‘re Crazy”, das in deftiger Variante auf „Appetite for Destruction“ enthalten ist, wurden samt Schlagzeug eingespielt, was dem akustischen Charakter jedoch nicht die Eindrücklichkeit raubt. Mehr noch nutzt Rose die reduzierten Möglichkeiten, um bei „You‘re Crazy“ die volle Breite seines vokalen Spektrums zu präsentieren. Wäre da also nicht das streitbare „One in a Million“, das GUNS N‘ ROSES in Interviews wiederholt als „missverstanden“ umschrieben, „G N‘ R Lies“ könnte gerade ob des Spagats zwischen unfertigen Studioanfängen und reiferer Akustik-Wandlung als klare Empfehlung durchgehen. So aber bleibt es, wie so oft in der Vita der legendären Rocker, beim Nebeneinander von Höhen und Tiefen.     

Wertung: 6.5 out of 10 stars (6,5 / 10)

scroll to top