Die Wannseekonferenz (D 2022)

Ein Fernsehspiel wider dem Vergessen

Die Ermordung von sechs Millionen Juden durch das Hitler-Regime ist eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Umso dringender erscheint der Appell, die zwischen 1933 und 1945 verübten Gräuel nicht zu verdrängen. Ein Film, der dieser Aufgabe mit Bravour nachkommt, ist „Die Wannseekonferenz“. Die dritte Verfilmung des Protokolls jener Sitzung vom 20. Januar 1942, bei der hochrangige NS-Funktionäre die „Endlösung der Judenfrage“ klärten, ist nicht allein die bislang beste, sondern überdies ein schockierendes Zeugnis des bürokratisierten Massenmordes. Dabei ist es allein einem Zufall zu verdanken, dass eines der insgesamt dreißig ausgehändigten und als „Geheime Reichssache“ deklarierten Protokolle vor dem Niedergang Nazi-Deutschlands nicht vernichtet wurde.

Eine Intrige gegen Außenminister Joachim von Ribbentrop brachte Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, die Inhaftierung im Konzentrationslager Sachsenhausen ein. Die Akten seiner Abteilung wurden zwecks weiterer Untersuchungen ausgelagert, wobei das Protokoll offenbar übersehen wurde. Ein Glück für die Nachwelt, denn an Menschenverachtung ist das im Internet offen zugängliche Dokument nur schwer zu überbieten. Das liegt vorrangig am Tenor, der die geplante Deportation – und in letzter Konsequenz die nicht explizit formulierte Ermordung – von elf Millionen europäischen Juden auf eine Ebene technokratischer Prozessorientierung transferiert und im Wesentlichen als logistische Herausforderung betrachtet.

Der von Matti Geschonneck („Boxhagener Platz“) sachlich und ohne Musikuntermalung rekonstruierte Gesprächsverlauf basiert auf einem Drehbuch von Magnus Vattrodt („Liebesjahre“) und Paul Mommertz, der bereits das Skript zur ersten TV-Adaption von 1984 verfasst hatte. Gedreht wurde, wie auch bei den Verfilmungen von 1984 und 2001 (eine britisch-amerikanische Co-Produktion von BBC und HBO), an Originalschauplätzen, respektive der Villa am Großen Wannsee außerhalb Berlins. Das idyllische Ambiente des damaligen Gästehauses der SS kontrastiert die Bitterkeit der behandelten Tagesordnung merklich. Leiter der Sitzung ist SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair, „Das Experiment“), der von Hermann Göring mit der Organisation des Völkermordes betraut worden war.    

Die prosaische Verschleierung des angekündigten Genozids

Dies Unterfangen erforderte „die vorherige gemeinsame Behandlung aller an diesen Fragen unmittelbar beteiligten Zentralinstanzen im Hinblick auf die Parallelisierung der Linienführung“. Entsprechend repräsentierten die 15 Teilnehmer, darunter acht mit Doktortitel, verschiedene Ministerien und Ämter. Darüber hinaus setzte Heydrich auf SS-Größen, die bereits zu dieser Zeit aktiv am Massenmord jüdischer Gefangener in den besetzten Ostgebieten beteiligt waren. Einen maßgeblichen organisatorischen Beitrag leistet SS-Obersturmbannführer und Protokollführer Adolf Eichmann (Johannes Allmayer, „100 Dinge“), Leiter einer zentralen Dienststelle für die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden.

Die „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ ist von Zahlen und Definitionen getrieben. Wie viele Juden müssen in welchem territorialen Bereich „evakuiert“ bzw. „weggearbeitet“ werden – und welche Juden sollen „entsprechend der Endlösung sonderbehandelt“ werden? Wilhelm Stuckart (Godehard Giese, „Babylon Berlin“), Staatssekretär im Innenministerium und Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze, pocht auf die Einhaltung des juristischen Rahmens. Hier mutmaßen die Autoren, dass es ihm auch um die Wahrung seines juristischen Vermächtnisses geht. Anders als bei der 1984er-Version erscheinen die weder aus dem originalen Protokoll noch aus anderen Quellen abzuleitenden Haltungen der Schreibtischtäter im Maßanzug – unbedingt erwähnenswert ist jener von Simon Schwarz („Der Knochenmann“) gespielte Martin Luther – nuancierter und insgesamt glaubwürdiger. Weniger spekulativ bleiben sie darüber allerdings nicht.

Dazu zählt auch die Sorge von Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl, „Toni Erdmann“), Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, der Massenmord könne die Psyche der jungen Soldaten belasten. Zum Ausklang der eigentlichen Besprechung wird dabei die Systematik der von keinem der Anwesenden in Umfang und Drastik bezweifelten „Endlösung“ thematisiert. Die mörderische Essenz wird quasi-prosaisch verschleiert, die genozidale Politik auf Fragen nach Effizienz und Finanzaufwand reduziert. Die emotionale Kälte aller Beteiligten – für weitere schauspielerische Glanzleistungen sorgen u. a. Maximilian Brückner („Oktoberfest 1900“), Jakob Diehl („Der Baader Meinhof Komplex“), Markus Schleinzer („Freud“), Frederic Linkemann („Beckenrand Sheriff“), Peter Jordan („Wackersdorf“) und Fabian Busch („Der Untergang“) – wiegt schwer. Doch ist es gerade diese Unerträglichkeit, die das szenische Mahnmal in Zeiten zunehmender Geschichtsverdrossenheit so relevant macht. Die kreative Schließung faktischer Lücken erscheint da durchweg verzeihlich.

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

scroll to top