Die Wannseekonferenz (D 1984)

Zum Umgang mit historischen Wissenslücken

Zu Beginn des Jahres 1942 setzte das Hitler-Regime alle Hebel in Bewegung, um die europäischen Juden systematisch zu ermorden. Das „Judenproblem“ der NS-Diktatur wurde zunächst versucht, durch Zwangsmigration zu lösen. Ihres Besitzes beraubt, konnten so immerhin mehr als 500.000 Menschen Europa verlassen. Nachdem Versuche fehlgeschlagen waren, die Abschiebung und Umsiedlung der Juden in verschiedene Staaten zu organisieren, ordnete die Reichsführung die Erarbeitung einer „Endlösung“ an. Über sie wurde am 20. Januar 1942 im kleinen Kreis in einer Villa am Wannsee beraten. Ziel war eine „Parallelisierung der Linienführung“, respektive die einvernehmliche Teilhabe sämtlicher für die Durchführung erforderlicher Bereiche des Machtapparates.

Die Wannseekonferenz sollte eigentlich ein streng gehütetes Geheimnis bleiben. Ein erhaltenes Protokoll der Zusammenkunft erlaubt jedoch Einblicke in die bürokratisiert-barbarische Planungsweise der Akteure. Über dessen Tragweite wird bis heute diskutiert. Denn obwohl die Zielsetzung der Ausrottung aller europäischen Juden sowie der Genozid mit rund sechs Millionen Toten hinreichend belegt ist, sind Geschichtswissenschaftler*innen aufgrund fehlender Dokumentationen uneins, wie der Entscheidungsprozess im Detail vonstattenging. Indizien deuten darauf hin, dass die Ausweitung zum Weltkrieg und der stockende Russlandfeldzug dem Völkermord entscheidenden Vorschub leisteten.

Diese Herleitung erscheint wichtig, um das 1984 gedrehte Fernsehspiel „Die Wannseekonferenz“ einordnen zu können. DER SPIEGEL ging im Erscheinungsjahr des Films hart mit diesem Gericht. In Teilen zu Recht. Und doch ist Heinz Schirks („Der Springteufel“) dokumentarischer Aufarbeitungsversuch ungeachtet spekulativer Tendenzen ein rückwirkend betrachtet relevanter Beitrag, um die geordneten Prozesse hinter den Gräueln erfahrbar zu machen. Das Drehbuch schrieb Paul Mommertz, der auch an der 2022 erstausgestrahlten ZDF-Produktion zum Thema beteiligt war. Darin lädt SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (Dietrich Mattausch, „Die wilden Fünfziger“) 14 Funktionäre aus Ministerien, Ämtern und SS-Bereichen ein, um sie über die geplanten Maßnahmen zu informieren und für die kooperative Umsetzung der „Endlösung“ zu gewinnen.

Ein Stammtisch mächtiger Funktionäre

Die Stimmung der Männerrunde ist bereits beim Eintreffen in protzigen Limousinen gelöst. Es wird gescherzt und lauthals gelacht. Eigenartig erscheint dabei die geradewegs forsche Darstellung von Protokollant und SS-„Judenbeauftragtem“ Adolf Eichmann (Gerd Böckmann, „Die Buddenbrooks“), der seine Verantwortung beim Genozid nachhaltig gar nicht klein genug dimensionieren konnte. Allein: Es nutzte ihm nichts. Für seinen Anteil an der Verfolgung und Deportation von Juden im Dritten Reich wurde er 1962 in Israel hingerichtet. Die Ausgelassenheit während der knapp eineinhalbstündigen Konferenz entstammt der interpretatorischen Freiheit der Macher. Sie zielt zweifelsfrei auf die Verstörung des Publikums, gerade gemessen am thematischen Kern der Zusammenkunft. Ein Hang zur Übertreibung kann dem Film dabei jedoch kaum abgesprochen werden.

Dafür fügt sich Kabarettist Jochen Busse („Tante Trude aus Buxtehude“) als Georg Leibbrandt, Reichsamtsleiter im Ministerium für die besetzten Ostgebiete, reibungsfrei in die gesellige Runde. Geradewegs überflüssig erscheint Heydrichs Geschäker mit Stenografin Ingeburg Werlemann (die spätere Vorzeige-Scientologin Anita Mally, „Das fliegende Klassenzimmer“), die das Frauenbild der NS-Zeit ad absurdum führt. Nicht weniger falsch ist auch die Darstellung von Wilhelm Stuckart (Peter Fitz, „Der Mann im Pyjama“), Staatssekretär im Innenministerium, der sich während der Debatte zum Umgang mit „Halb- und Vierteljuden“ inquisitorisch überhöhten Anfeindungen ausgesetzt sieht, die ihn schlussendlich gar zum Rücktritt bewegen.

Sieht man von den Schwächen der Interpretation sowie historischer Falschinformationen ab, bleibt ein in Teilen aufrüttelndes Werk, das sich bemüht zeigt, den auf Effizienz und Prozessoptimierung ausgerichteten Vernichtungsapparat in gebotener Gefühlskälte zu charakterisieren. Die gemutmaßte Einvernehmlichkeit, dass „Endlösung“ gleichbedeutend mit Völkermord ist, macht den gemäßigten Wortlaut, der sich in Begrifflichkeiten wie „besondere Behandlung“ oder „Evakuierung“ äußert, nur umso schändlicher. Immerhin wurde am Wannsee nicht weniger als das Schicksal der elf Millionen europäischen Juden verhandelt. Ungeachtet identischer Dialogzeilen (auch abseits des Protokolls) ist die 2022er-Version von „Die Wannseekonferenz“ deutlich überzeugender geraten. Die Bedeutung von Schirks international geachtetem TV-Klassiker als Zeichen deutscher Vergangenheitsaufarbeitung sollte aber keinesfalls zu klein gefasst werden.   

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)           

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