V/A – Continent Tapes Vol. I (Europe) (2019, Dr. Skap Records)

Musik verbindet. Musik überwindet Grenzen. Musik transportiert eine Idee. Die selbige hinter der Kompilation „Continent Tapes“ ist so einfach wie genial: 43 Bands aus 43 europäischen Ländern (es fehlen einzig Andorra, Island und Vatikanstadt) beweisen mit je einem Song, dass die Kluft zwischen ihnen – zumindest auf künstlerischer Ebene – nicht so groß ist, wie es oftmals der politischen Realität entspricht. Zurückzuführen ist das Konzept auf das deutsche DIY-Label Dr. Skap Records, wo der Sampler digital und als schickes Doppel-Set auf Musikkassette erschienen ist.  

Die Reihung der meist unbekannten Combos erfolgt alphabetisch, von A wie Albania bis U wie United Kingdom. Darunter finden sich vereinzelt namhaftere Vertreter, etwa die niederländischen Polit-Punks ANTILLECTUAL, die französischen Ska-Punks P.O. BOX oder die luxemburgischen Melo-Punks VERSUS YOU. Auch LEFTOVERS aus Italien oder MAIN LINE 10 aus Spanien kann man kennen. Das Salz in der Suppe sind jedoch nicht sie, sondern vorrangig die außerhalb ihrer Heimatländer weitgehend ungehörten Kollektive.  

Dabei erscheint das Gros der vorgestellten Bands nicht allein entdeckungswürdig, sondern aufgrund der oft in Landessprache vorgetragenen Texte gar dezent exotisch – siehe etwa den stimmlich reduzierten albanischen Startschuss von PINKMETAL, die bosnisch-herzogowinische folkige Extravaganz von NERVINI SLOM, das für eine offene Welt werbende (und sprachlich durchaus verständliche) „Wias halt isch“ der Liechtensteiner RÄÄS, der Punk-Chanson von I.M.O.D.I.U.M. aus Monaco oder auch der traditionelle Ska der tschechischen Blaskapelle PESHATA.

Stilistisch ist alles dabei: Punk, Hardcore, Ska, Rock, Indie. Die einzelnen Darbietungen sind mal tanzbar, mal garagig oder vereinzelt experimentell. Geeint werden alle Künstler jedoch durch das Herzblut, das sie weit abseits von Massenpublikumskreisen in ihr Wirken einfließen lassen. Die Verweildauer pro Land und Band liegt zwischen 45 Sekunden (GOOD FXXXING TIME, Litauen) und fünfeinhalb Minuten (SPOILED, Zypern). Daraus ergeben sich in Summe mehr als zwei Stunden musikalischer Entdeckungsreise, die wahrlich nicht durchweg hochkarätig erscheint und doch stets sympathisch zum kulturellen Brückenbau beiträgt.

Zu den Highlights zählen u. a. der (Post-)Hardcore von WINDOVER (Weißrussland), der altschulisch donnernde Hardcore-Punk von SICK CRAP (Kroatien), die furiose Kante der MIGHTY MIDGETS (Dänemark), der Skate-Punk von LAST SHOT AT FAME (Finnland), der Americana-influenzierte Sound von CHEWING ON TINFOIL (Irland), der Emo-Punk von CACOPHONICS (Lettland), die Singalong-trächtige Ausprägung von ATHEIST RAP (Serbien), die treibende Hitmaschine von REAL LIFE VERSION (Slovenien), die instrumental an die frühen SATANIC SURFERS anknüpfenden KEPT (natürlich aus Schweden) oder die schnörkellos krachschlagenden KNIFEMAN (Ukraine).

Zwischen Proberaum und Studio, Demo-Charakter und professioneller Produktion bleibt „Continent Tapes“ eine hochgradig empfehlenswerte Vision eines tatsächlich einheitlichen Europas, an der sich die Europäische Union ruhig ein Beispiel nehmen kann. Eine Fortsetzung des Konzepts ist nicht allein unbedingt erbeten, sondern bereits in Vorbereitung. Hut ab vor so viel Hingabe!   

Der Fairness – und besseren Orientierung – halber nachfolgend die Track-Auflistung des Gesamtwerks:

01. Pinkmetal – Seni Leht (Albania) 

02. Headgranades – Lone Wolves (Austria)

03. Windover – Wasting Time (Belarus)       

04. Corbillard – On s’ne Prend (Toujours) Plein la Gueule (Belgium)         

05. Nervni Slom – Ništa Ništa Do Mene Je (Bosnia & Herzigowina)         

06. Bright Sight – 160 (Bulgaria)      

07. Sick Crap – Wasted Kids (Croatia)        

08. Spoiled – Skins (Cyprus) 

09. Peshata – Aftaci (Czech Republic)         

10. Mighty Midgets – Our Perfect Lies (Denmark) 

11. Rattlecan Paintjob – Bleach (Estonia)    

12. Last Shot At Fame – Behind the Keys (Finland)           

13. P.O. Box – It Will But Grow (France)   

14. DuckTape – Drown (Georgia)     

15. Tourette’s – Naked and Happy (Germany)         

16. Bandage – House (Greece)         

17. Bankrupt – Need Your Brain (Hungary)

18. Chewing On Tinfoil – Just Like Me (Ireland)    

19. Leftovers – Trainwreck (Italy)    

20. Cacophonics – Holiday (Latvia) 

21. Rääs – Wias halt isch (Liechtenstein)     

22. Good Fxxxing Time – No Rest (Lithuania)        

23. Versus You – You Better (Luxembourg)

24. The Beginnings – Nausea (Macedonia)  

25. BILA – Do What I want (Malta)

26. Walk Alone – Dead End Path (Moldova)          

27. I.M.O.D.I.U.M – Lettre à Elise (Monaco)         

28. Punkreas – Nije Kraj (Montenegro)        

29. Antillectual – The Invisible Hand Meets the Visible Fist (Netherlands)           

30. Freedumb – Let It Slide (Norway)         

31. The Thinners – Czy Pamiętasz (Poland) 

32. ContraSenso – Cabeça Erguida (Portugal)         

33. TBA – Noe to Self (Romania)    

34. Kerosin – Golod (Russian Federation) 02:28     

35. Atheist Rap – UPRAVA – NAPOLJE! (Serbia)

36. Konflikt – Rebel (Slovakia)        

37. Real Life Version – Wall of Fame 6 o’Clock (Slovenia)

38. Main Line 10 – Friends Don’t Lie (Spain)          

39. Kept – Erased (Sweden) 

40. Hathors – Pyramid (Switzerland)

41. Evden Uzakta – Hoscakal (Turkey)        

42. Knifeman – Cosmopolite (Ukraine)        

43. The Cut Ups – The Gold War (United Kingdom)

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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