Lagwagon – Railer (2019, Fat Wreck)

Die alten Helden des 90’s-Punk-Revivals sind, sofern sie denn bis in die Gegenwart überlebt haben, anspruchsvoller geworden. Ihre im neuen Jahrtausend produzierten Platten weisen zunehmend komplexere Strukturen auf und/oder verlassen sich auf die Kraft vermehrt rockiger bis metallischer Klänge. Auch die Melo-Core-Vorkämpfer LAGWAGON haben sich vom ursprünglich ruppigen, sympathisch unfertigen Stil lange verabschiedet. Doch im Gegensatz zu zahlreichen Genre-Kollegen lassen sie dem stattlichen Achtungserfolg „Hang“ (2014) mit „Railer“ einen Langspieler folgen, der den Trend überraschenderweise nahezu umkehrt.

Denn bei (Regulär-)Album Nummer neun haben Joey Cape und Mitstreiter deutlich weniger Zeit in den Schreibprozess des Song-Dutzends investiert. Stattdessen wurde willkommen geheißen, was sich richtig anfühlt. Davon profitiert nicht allein die ansteckende Dynamik, sondern allen voran die angestammte Hörerschaft. Einen leidenschaftlich unverblümt nach vorn bretternden Track wie die Single „Surviving California“ hat man von LAGWAGON seit „Hoss“-Tagen nicht mehr gehört. Und auch das Gros der übrigen Beiträge, darunter Highlights wie der mit Metal-Gitarre und klassischen Breaks versehene Startschuss „Stealing Light“, „Parable“, die Vorab-Auskopplung „Bubble“ oder das in Sachen Vielschichtigkeit aus dem Rahmen fallende „The Suffering“, schert sich wenig um die Wirkung beim nächsten „Warped Tour“-Gastspiel.

Anders als in der Gründerzeit verfügen LAGWAGON im Jahr 2019 jedoch über einen derartig reichhaltigen Erfahrungsschatz, dass die packenden Refrains und das wandlungsreiche, noch immer munter melancholische Stimmungsbild (siehe etwa „Jini“, das vergleichsweise zurückgenommene „Auf Wiedersehen“ oder das abschließende JOURNEY-Cover „Faithfully“) wie selbstverständlich ins Herz der Zielgruppe treffen. Dass die mit LAGWAGON fern flächendeckend juveniler Runderneuerung seit jeher mitaltert und „Railer“ daher als konsequenten Rücksturz in jene goldene Ära der mittleren 1990er feiern dürfte, kann als das eigentlich bemerkenswerte Moment der Platte aufgefasst werden. Damit liegen Wucht und Verve auf „Railer“ so dicht beieinander, dass man tatsächlich erst einmal in den Kalender schauen muss, um sich des Produktionsjahres der Platte bewusst zu werden. Dafür ein dickes Dankeschön!

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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