Hörspiel-Review: Und auf Erden Stille (Staffel 1) (2021, Folgenreich)

Was für (TV-)Serien gut ist, kann Hörspiel-Reihen kaum schaden. Gemeint ist die Bündelung zu Staffeln, die der Geschichte den nötigen Raum zur Entfaltung gewähren, ohne durch den eingeschränkten Umfang der einzelnen Episoden ausgebremst zu werden. In seiner Komplexität und auf verschiedenen Zeitebenen vollzogenen Erzählung profitiert „Und auf Erden Stille“ von dieser konzeptionellen Struktur, wenn sich der Fokus über den anfangs rätselhaft isolierten Handlungsort allmählich erhebt und eine Welt beleuchtet, die zugleich fasziniert und abstößt.

Es ist wieder Endzeit. Gleich zwei Pandemien haben die Menschheit dezimiert: eine Überempfindlichkeit des Gehörs, die das Leben außerhalb geschlossener Räume ohne Ohrschutz zur schieren Tortur macht, und ein durch Geschlechtsverkehr übertragenes Virus, das allein Männer befällt – und tötet. Rund 15 Jahre nach dem Untergang lebt Teenagerin Rhiannon (mit der Stimme von Sarah Alles) in der Kommune Novis, die ein altes Bergwerk bewohnt. Alltag und Lebensweise sind von Routinen und Sicherheitsvorkehrungen geprägt, die von den Oberen mit gebotener Strenge oktroyiert werden. Die Gemeinschaft wirkt fast wie eine Sekte. Doch Rhiannon bietet sie nicht dauerhaft Zuflucht.

Während ihr Tagwerk von der Jagd auf Hunde und Kleintiere oder die Befestigung der äußeren Anlage geprägt ist, suchen andere nah und fern nach Informationen. Dabei findet sich ein Dokument, das Rhiannons verschollenen Vater, einen Wissenschaftler, mit dem Weltuntergang in Verbindung bringt. Und so verstößt Anführer Krzysztof (Detlef Bierstedt) das Mädchen, wenn auch mit einem Auftrag: Folge der Spur des Erzeugers und suche ein Gegenmittel. Oder, wie es in Krzysztof retrofuturistisch gefärbten Sprachschatz lautet: eine Kur. Also macht sich die naive 16-jährige, begleitet von Freundin Lisa (Derya Fletchner), auf den Weg ins Ungewisse.

Das Ziel ist die US-Ostküste, genauer Manhattan. Dort verortet das Schriftstück die Partizipation von Rhiannons Vater an der Katastrophe. Doch der Weg ist weit und die jungen Frauen wissen nicht, was sie erwartet. Brückenwächter, die Wegzoll verlangen, sei es materieller oder sexueller Natur, sind da noch ein marginales Problem. Wo die Herleitung durch den Fokus auf Rhiannon den Eindruck einer zeitgemäßen Teen-Dystopie weckt, sorgt die Einführung des zunächst undurchsichtigen Ranger (Björn Schalla) für einen erzählerischen Richtungswechsel. Er begleitet sie auf ihrem Weg, fordert dafür aber in der Nähe des Zielorts einen Gefallen.

Auf ihrer beschwerlichen Reise stoßen sie u. a. auf einen störrischen Landwirt, der die Konsequenz der neuen Weltordnung durch den Konflikt mit ausgebüxten Zoo-Raubkatzen lernen muss, ehe sie der Transport einer mysteriösen Fracht via Schiff in Richtung ihres Ziels bringt. Atmosphärisch ist all das dicht, bisweilen beklemmend aufgezogen. Der letztgenannte Aspekt kommt vor allem im verwüsteten New York zum Tragen, das von verschiedenen sich bekriegenden Gangs beherrscht wird und dessen überflutetes U-Bahn-Netz als letzte Ruhestätte unzähliger Leichen fungiert. Im „Big Apple“ wird zudem das Endzeit-Klischee männlicher Dominanz bemerkenswert clever ausgehebelt.

Es sind Nebenaspekte wie diese, die „Und auf Erden Stille“ zum vielschichtigen Erlebnis machen. Dafür spricht auch die aus der Perspektive des Investigativ-Journalisten Max Bucerius (Konrad Bösherz) im Stile eines politischen Verschwörungs-Thrillers erörterte Vorgeschichte des Untergangs. Sie umfasst drei der insgesamt zehn Episoden. Dabei werden etwa über eskalierende Flüchtlings-Krise und die erstarkende christliche Rechte in den USA Gegenwartsbezüge eingestreut, die der Wirkung – gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie – bis ins Detail zuträgt.

Die von Balthasar von Weymarn (Buch und Regie) sowie Joachim-C. Redeker (Sunddesign, Musik und Produktion) – beide an der erfolgreichen Hörspielserie „Mark Brandis“ beteiligt – realisierte Reihe hätte daher kaum eine bessere Zeit der Veröffentlichung treffen können. Die technische Umsetzung gibt sich tadellos und saugt die Zuhörenden unmittelbar in ein kollabiertes Abbild unserer modernen Welt. Der Plot kommt ohne allwissende Erzählstimme aus. Stattdessen werden Rhiannons Handlungen punktiert von einer weiblichen Off-Narration (Vera Teltz) begleitet. Die allerdings bietet keine ergänzenden Informationen, sondern gewährt in fast mütterlicher Manier Einblicke in die Gefühlslage der Hauptprotagonistin.

Bei allem Licht bietet die Umsetzung aber auch (dezente) Schattenseiten. So wirkt der finale Akt, bei dem Rangers Ziel mit dem von Rhiannon unverhofft überlappt, über die Begegnung mit dem mysteriösen Jerome Beaucarte (Oliver Stritzel) arg zufällig. Hinzu kommt, dass die gemeinsame Reise des grundverschiedenen Duos allein auf dem konstruierten Zufall basiert, dass der bereits vor der Apokalypse erwachsene Ranger – im Gegensatz zu seiner jugendlichen Begleiterin – Analphabet ist. Trotzdem sind die Weichen für eine Fortsetzung am Ende souverän gestellt. Denn nicht nur in der Post-Apokalypse, sondern auch in der Vergangenheit sind längst nicht sämtliche Fragen beantwortet.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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