The Day After – Der Tag danach (USA 1983)

„Do you understand what’s going on in this world?“

„Yeah. Stupidity. Has a habit of getting its way.“ – Dialog zwischen Dr. Oakes und einem Kollegen

Es gibt Filme, die erscheinen beim bloßen Blick auf das Produktionsjahr veraltet. Ihr Kontext jedoch ist derart zeitlos, dass er auch heute noch erschreckend aktuell anmutet. Ein solches Werk ist Nicholas Meyers (er verantwortete u. a. die „Star Trek“-Kinofilme „Der Zorn des Khan“ und „Das unentdeckte Land“) 1983 gedrehter TV-Klassiker „The Day After“. Der im Februar 2022 gestartete Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt dessen Übertragbarkeit in die Gegenwart beängstigend deutlich vor Augen. Auch im Fernsehspiel ist der Auslöser eine von Moskau orchestrierte Invasion; in Zeiten des Kalten Krieges jedoch bezogen aufs geteilte Deutschland. Die Folge ist ein Atomkrieg, dessen Herleitung allein über Newsmeldungen im US-TV und -Radio konstruiert wird.  

Die Handlung spielt in und um Kansas City, Missouri. Unweit der Großstadt, in unterirdischen Raketensilos, sind atomare Sprengkörper stationiert. Sie sind ein Ziel der sowjetischen Attacke. Teil des lokalen Militärpersonals ist der junge Afroamerikaner Billy (William Allen Young, „Lock Up“). Er ist einer der Protagonisten, deren Alltag vor der Katastrophe skizziert wird. Doch das Alltägliche weicht dem Unvorstellbaren, als sich die Siloklappen öffnen und die Massenvernichtungswaffen gen Russland abgefeuert werden. Ein Zeichen des Angriffs? Oder vielmehr der Verteidigung? Eine Rolle spielt das nicht. Denn wenig später schlagen zwei russische Atomraketen in der Region ein. 

Unter die Bilder der verheerenden Zerstörung mischen sich bekannte Dokumentaraufnahmen. Tricktechnisch wirken die Szenen überholt, wenn sich Menschen, vom Druck der Explosion erfasst, in Skelette verwandeln. Beklemmend mutet die Gesamtsequenz dennoch an. Das Davor, respektive die erst schrittweise und letztlich radikale Veränderung des Alltags, wird neben Billy von anderen Figuren getragen: dem Chefarzt Russell Oakes (Jason Robards, „Die Unbestechlichen“) oder der Farmerstochter Denise (Lori Lethin, „The Prey“), die unmittelbar vor der Hochzeit mit Bruce (Jeff East, „Deadly Blessing“) steht. Am Ende ist nichts mehr von Belang.

„They gave me this ribbon to wear… But I haven’t got any damn hair to put it into.“ – Denise

Teil des Vorlaufs ist auch die Reaktion der Bevölkerung auf die sich zuspitzende politische Lage. In die wachsende Unruhe mischen sich Panikkäufe, mit der Gewissheit des Atomkriegs versuchen die Menschen scharenweise zu fliehen. Oakes, dessen Familie – Gattin Helen wird von TV-Veteranin Georgann Johnson („Somerset“) gespielt – von der Explosion ausgelöscht wird, begibt sich ins Hospital und organisiert mit Krankenschwester Nancy (JoBeth Williams, „Poltergeist“) die Versorgung der unzähligen Verletzen – und der hochschwangeren Alison (Amy Madigan, „Straßen in Flammen“). Viele, er selbst eingeschlossen, sind so verstrahlt, dass ein Überleben unmöglich erscheint. Doch Oakes macht weiter, buchstäblich bis zum Umfallen.  

Teil des Ensembles ist auch John Lithgow („Garp“), der an einer Universität im betroffenen Gebiet versucht, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen und die auftretende Strahlung zu messen. Denises Vater Jim (John Cullum, „Ausgerechnet Alaska“) zieht sich vor der Katastrophe mit der Familie in den Keller seines Hauses zurück. Dort stößt nach Tagen Student Stephen (Steve Guttenberg, „Police Academy“) zu ihnen. Als es Denise ins Freie zieht und er ihr nacheilt, werden beide durch den Fallout verstrahlt. Dass die Explosionen nicht die Sonne verdunkeln, erscheint als Fehler verzeihlich – die Theorie des „Nuklearen Winters“ wurde erst publik, als der Film bereits abgedreht war.   

1983 verschärfte sich der Kalte Krieg über öffentliche Anfeindungen und zusätzliche Aufrüstung erneut. „The Day After“, ausgezeichnet mit zwei Primetime Emmys (für Tonschnitt und Effekte), beschreibt die Auswirkungen einer endgültigen Eskalation nachvollziehbar und fernab übertriebener Dramatik. Vom tatsächlichen Horror eines realen Atom-Infernos ist Meyers Beschreibung, die den Cast am Ende in hoffnungsloses Siechen überführt, trotzdem weit entfernt. Dazu trägt auch die Direktive des produzierenden Senders ABC bei, diverse Details des körperlichen und sozialen Zerfalls zu kürzen. So werden die Anzeichen einer endzeitlichen Überwindung alter Ordnungen lediglich angedeutet (exemplarisch bei Jims Schicksal). An Eindringlichkeit mangelt es dem bis heute publikumsstärksten TV-Film der US-Geschichte trotzdem nicht. Möge er gerade denjenigen, die über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden, eine beständige Warnung sein.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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