Wieder eine englische Küstenstadt, wieder ein Gewaltverbrechen mit jungem Opfer. Oder besser: jungen Opfern. Gemessen an diesem Aufhänger drängen sich Vergleiche zwischen „Broadchurch“ und „The Bay“ geradezu auf. Dass die nachfolgend produzierte zweitgenannte TV-Reihe diesen nicht vollends standhält, macht sie keineswegs weniger sehenswert. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Unterschiede schlussendlich weit größer erscheinen als die auffälligen Gemeinsamkeiten.
Im Mittelpunkt steht mit Lisa Armstrong (Morven Christie, „Grantchester“) einmal mehr eine weibliche Ermittlerin. Die ist alleinerziehende Mutter zweier heftig pubertierender Kinder und dazu eine ambitionierte Beamtin. Nach Verbrechen fungiert sie als Bindeglied zwischen Polizeiapparat und betroffenen Angehörigen. Eine Aufgabe, die Empathie und Fingerspitzengefühl verlangt. Als in Morecambe zwei Teenager, obendrein Zwillinge, verschwinden, tritt Lisa mit dem ihr zugewiesenen Novizen Med (Taheen Modak, „Two Weeks to Live“) ins Leben der sozial schwachen Familie Meredith.
Der erste Schock lässt nicht lange auf sich warten: Mit Sean (Jonas Armstrong, „Hit & Miss“), dem aufbrausenden Stiefvater der Vermissten, hatte Lisa am Vorabend Sex in einer Seitengasse. Der flüchtige Quickie zweier Zufallsbekanntschaften bleibt nicht ohne Folgen, wird aber von beiden zunächst souverän überspielt. Um nicht vom Fall abgezogen zu werden, belässt Lisa ihren Vorgesetzten Tony Manning (Daniel Ryan, „Mount Pleasant“) im Unklaren – und lässt überdies Beweise der Affäre verschwinden.
Für Seans Frau, die hochschwangere Jess (Chanel Cresswell, „This is England“), erweist sich Lisas Unterstützung als echte Hilfe. Vor allem, als am Strand eine Leiche entdeckt wird und das Gefühlsleben aller Betroffenen endgültig auf den Kopf gestellt wird. Ein erster Verdächtiger scheint im geistig zurückgebliebenen Nick Mooney (Matthew McNulty, „The Terror“) rasch gefunden. Für Sean Grund genug, das Gesetz in bester „Prisoners“-Manier in die eigenen Hände zu nehmen.
Wie üblich im Krimi-Genre wächst die Zahl der potentiell ins Verbrechen verstrickten Personen stetig. Das Video einer Überwachungskamera am Bahnhof und der Fund eines Rucksacks im Meer werfen neue Fragen auf. Auch über das Verhältnis der Geschwister untereinander. Daneben spart „The Bay“ nicht an persönlichen Konflikten. Das betrifft neben Lisa, die beständig auf die Unterstützung ihrer Mutter (Lindsey Coulson, „Bulletproof“) angewiesen ist, vorrangig ihre Teenager-Kinder Abbie (Imogen King, „Clique“) und Rob (Art Parkinson, „Game of Thrones“). Die geraten selbst in kriminelle Milieus, was für den übergeordneten Plot nur scheinbare Verknüpfungen birgt und daher eher lückenfüllenden Charakter aufweist.
So gerät Abbie in den Dunstkreis von Drogendealer Vincent (Adam Long, „Happy Valley“), während Rob versucht, dem Image des Strebers durch Mutproben zwischen Vandalismus und Diebstahl zu entfliehen. Der Wendungen sind es damit genug, um die sechsteilige Auftaktstaffel, auch bedingt durch gelungene Bücher und das überzeugende Ensemble, als hochwertige Krimi-Unterhaltung zu empfehlen. Fortsetzung erbeten.
Wertung: (7 / 10)