Folge dem weißen Kaninchen…
Mit ihrer visionären Endzeitmär „Matrix“ revolutionierte das Brüderpaar Larry und Andy Wachowski 1999 die visuelle Darstellungskraft auf Zelluloid gebannter Actionsequenzen. Ein Eintrag in die Filmgeschichte folgte ihrem bombastischen wie komplexen Blockbuster auf dem Fuße. So schien es lediglich eine Frage der Zeit, bis die Story um ein intelligentes Computerprogramm, das der ahnungslosen Menschheit eine intakte Welt vorgaukelt, während selbige im künstlichen Tiefschlaf als das System speisende Energiequellen ausgebeutet werden, fortgeführt würde.
Doch war der von langer Hand herangezüchtete Goldesel der Wachowskis von Beginn an als Trilogie konzipiert, so dass deren Mittelteil „Reloaded“ das Merchandise-Millionengeschäft erheblich ankurbelt. Die Fäden hält dabei Erfolgsproduzent Joel Silver („Lethal Weapon“) in der Hand. Neben den kurz hintereinander startenden Teilen zwei und drei flankieren neun eigens erstellte Anime-Kurzfilme („Animatrix“) sowie ein Computerspiel das Kinovergnügen. Es sollte sich dabei von selbst verstehen, dass gewisse künstlerische Aspekte dem ultimativen „Matrix“-Overkill zum Opfer fallen.
Trotz des Sieges des Auserwählten Neo (Keanu Reeves) über Agent Smith (Hugo Weaving), Schutzpatron des Digitalwunderlandes, gibt sich die Matrix nicht geschlagen. Abertausende der metallischen Wächter des Computer-Konstruktes bahnen sich in der wirklichen Welt ihren Weg Richtung Zion, der letzten Bastion der freien Menschen im Erdinnern. Nach einer flammenden Rede von Morpheus (Laurence Fishburne) an die Bewohner Zions reist er mit seiner Crew aus der Festung ab, um in der Matrix weitere entscheidende Antworten zu finden. Jene führen Neo, Morpheus und Trinity (Carrie-Anne Moss) auf die Spur des Schlüsselmachers (Randall Duk Kim), ein Programm mit der Fähigkeit, in jeden gewünschten Winkel des irrealen Universums zu gelangen.
Jedoch befindet sich der bedeutsame Feinmechaniker in Gefangenschaft des durchtriebenen Merowingers (Lambert Wilson). Als dessen Frau Persephone (Monica Bellucci) den Rebellen beisteht, ist dies der Auftakt einer aberwitzigen Flucht aus der Matrix, in dessen Zuge es das Gefolge des Auserwählten nicht nur mit Agent Smith-Nachfolger Johnson (Daniel Bernhardt) zu tun bekommt, sondern auch mit einem wenig zimperlichen Zwillingsbrüderpaar (Adrian & Neil Rayment). Doch die Zeit bis zu Zions Untergang verstreicht unaufhaltsam, während die Prophezeiung manch bittere Überraschung für Neo und seine Mitstreiter, darunter auch Morpheus verflossene Niobe (Jada Pinkett-Smith), bereit hält.
„Matrix Reloaded“ ist von der ersten Sekunde an ein optischer Hochgenuss, gespickt mit unzähligen Zeitlupensequenzen und gekleidet in eine prächtige Bilderflut voller atmosphärisch stimmiger Momente. Dass im Zuge dieser betörenden visuellen Übermacht gerade im ersten Drittel die Plausibilität auf der Strecke bleibt und Morpheus überflüssiges Intermezzo als Aushilfs-Bergprediger lediglich von der Lächerlichkeit der anschließenden Ausgelassenheit der Planet-Viva-Party-Kommune überflügelt wird, entfernt das Sequel von Minute zu Minute mehr von der Innovationskraft des Vorgängers. Doch bewirken Larry und Andy Wachowski im zweiten Drittel eine überfällige Wende, die das recht dünne inhaltliche Gerüst stärkt und den Film aus der mageren Grauzone herausführt.
Gegen Ende überschlagen sich dann plötzlich die Ereignisse und der Betrachter wird in einen wahrlich atemberaubenden Sog aus fulminanter Action und um inhaltliche Komplexität bemühte Wendungen gezogen. Aber auch solche Passagen sind leider nicht gewappnet gegen Unstimmigkeiten und Makel, beispielsweise Neos stetig aufblühende Fähigkeiten inklusive integrierten Superman-Flugeinlagen. Unterstützt wird das agile Schauspielergespann aus Teil eins von Jada Pinkett-Smith („Demon Knight“) und Monica Bellucci („Der Pakt der Wölfe“), während der altbekannte Befürworter des knechtenden Computerprogrammes Hugo Weaving („Priscilla, Königin der Wüste“) mehr oder weniger schlagfertige Rückendeckung durch B-Karateka Daniel Bernhardt („Bloodsport 2“) erfährt.
Technisch auf höchstem Niveau (mit Ausnahme der aufstoßenden Komplettanimierung der Protagonisten im Kampfgetümmel), wäre in Bezug auf die Geschichte von „Matrix – Reloaded“ eine Festplattenneuformatierung gerade zu Beginn zwingend erforderlich gewesen. Auffällig gestaltet sich dabei der Umstand, dass die Wachowskis das erzählerische Tempo noch mehr schleifen lassen, während reizvolle Passagen gerade gegen Ende rasend schnell abgehandelt werden. So gehen die holprige Dramaturgie und mitunter strapaziöse Dialoge Hand in Hand mit nahezu perfekten Effekten und der erstklassigen Kameraarbeit von Bill Pope („Bound“).
Trotz mancher Ungereimtheit und einer Überfrachtung an Symbolik und Pathos bildet „Matrix Reloaded“ ansprechendes Unterhaltungskino und aufgrund der zweiten Hälfte einen durchaus würdigen Nachfolger zum überragenden ersten Teil. So dümpelt der Gesamteindruck des Filmes zwar zwischen Begeisterung und Enttäuschung, doch werden allein die perfekten Kampfchoreographien des Fernost-Altmeisters Yuen Woo Ping („Tiger and Dragon“) sowie das offen gehaltene Cliffhanger-Finale auch beim erneuten Herunterrasseln der grünen Zahlenfolgen im Herbst für volle Kinosäle sorgen. Und vielleicht fördert der Kaninchenbau bei „Matrix Revolutions“ ja auch endlich wieder Innovationen zu Tage.
Wertung: (6 / 10)