In einem Punkt sind sich Fans und Kritiker einig: „Chameleon” ist das wohl richtungsloseste und schwächste Album in der bewegten Historie von HELLOWEEN. Der Autor dieses rückschweifenden Blickes sieht dies anders, grundlegend anders, und wird versuchen, das beschädigte Bild dieser hinreichend unterschätzten Platte ein wenig zu kitten. Denn, um eines vorangestellt klarzustellen, der 1991 präsentierte Vorläufer „Pink Bubbles Go Ape“ fiel deutlich schwächer aus und brachte den deutschstämmigen Riesen des Power-Metal schon in der Vorzeit spürbar ins Wanken.
Dass jener durch „Chameleon“ nicht nur ins Straucheln geriet, sondern letztlich auch fiel, bleibt unbestritten der diffusen Neuorientierung geschuldet. Doch ist es gerade dieser Drang zur Weiterentwicklung und unbedingten Veränderung, der „Chameleon“ zu einem ganz besonderen Werk im Schaffen HELLOWEENs macht. Man betrachte allein den Titel „Stray Cat“, bei dem Sänger Michael Kiske und seine inzwischen zerstrittenen Bandkollegen Einflüsse von Rock ´n Roll und Swing einbringen. Inklusive Big Band-Flair und ganzheitlicher Metal-Abstinenz.
Genau dies aber brachte die Fans endgültig gegen ihre Helden auf. Mit Weichspüler – „Windmill“ und „In the Night“ sind tatsächlich fast unerträglich kitschig geraten –, Akustikgitarre und Synthesizer experimentierten die Hamburger auf hohem Niveau. Leider ohne den gewünschten Erfolg. Bei „Revolution Now“ bedienen sie klassischen Rock, bei „When the Sinner“ und „Music“ gar poppige Elemente. Heraus sticht der Opener „First Time“, der den klassischen Tagen noch am nächsten kommt. Dem ganzen die Krone setzt aber die abschließende, Orchester-begleitete Akustik-Ballade „Longing“ auf.
Von den verkitschten Beiträgen abgesehen, stehen die oben genannten Nummern aber für eine Seite HELLOWEENs, die beinahe jeden erschreckte und die auch nie wieder zum Vorschein treten sollte. Vor dem Mut des Quartetts und der progressiven Schubkraft ihres fünften Studioalbums kann man dennoch nur den Hut ziehen. Wenngleich „Chameleon“ fast das Ende bedeutete. Kiske verließ die Band, der von Drogen und Schizophrenie gebeutelte Drummer Ingo Schwichtenberg tat es ihm gleich – und verübte noch im gleichen Jahr Selbstmord. Doch rüttelt dies unrühmliche Ende einer glorreichen Metal-Ära nicht an der Klasse der Platte. Selbst wenn diese mit der ursprünglichen Ausrichtung nicht mehr viel gemeinsam hat.
Wertung: (7,5 / 10)