Der Italo-Western wurde aus der Not geboren. Historienfilme und Sandalenabenteuer brachten Anfang der sechziger Jahre bei zunehmend steigenden Kosten immer weniger Geld in die Kassen der südeuropäischen Studios. Daneben gab es lediglich das anspruchsvolle Kino der Fellinis und Viscontis, das in der Hauptsache Ansehen, daneben aber nur selten Profit brachte. Es war also an der Zeit für neue Ideen. Warum nicht der Western? In Amerika funktionierte das bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert und selbst Deutschland feierte zur Verwunderung ausländischer Beobachter gewaltige Erfolge mit der „Winnetou“-Saga.
Nach ein paar eher unbedeutenden, merklich US-Vorbilder kopierenden Western war es Sergio Leone, der dem Genre mit „Für eine Handvoll Dollar“ seinen typischen, von der japanischen Filmkunst inspirierten Stempel aufdrückte. Der Rest ist Geschichte, eindrucksvoll nachgezeichnet von „Denn sie kennen kein Erbarmen – Der Italowestern“. Die Regisseure Peter Dollinger und Hans-Jürgen Panitz („Kino Kolossal – Herkules, Maciste & Co.“) stöbern dem Mythos der europäischen Variante der ältesten Filmgattung der Geschichte mit Detailreichtum und großer Ambition nach. Sie besuchen Drehorte, greifen auf Filmszenen zurück und lassen in großer Zahl jene zu Wort zu kommen, die den Spaghetti-Western zu dem machten, was er wurde – der erhoffte finanzielle Erdrutsch.
Aus der Verbindung von „Talking Heads“ und Collage entsteht ein ebenso informativer wie unterhaltsamer Dokumentarfilm, der einem eigentlich toten Sujet durch Interviews und Anekdoten neues Leben einhaucht. Viele der großen Namen sind lange verstorben, durch seltenes Archivmaterial kommen aber selbst sie zu Wort. Da sind allen voran die Regisseure Sergio Leone und Sergio Corbucci, zu dessen „Leichen pflastern seinen Weg“ es seltenes Behind the Scenes-Material zu sehen gibt. Dazu werden Einblicke in die Arbeitsweise und die Bedeutung der Musik gewährt, stets unterstützt durch die freudigen Wortmeldungen bekannter Schauspieler, Produzenten und sogar Stuntmen.
Gianni Garko, durch die mehrfache Verkörperung des „Sartana“ zu Ruhm gelangt, erzählt von amerikanisch klingenden Künstlernamen und dem Kollegen Klaus Kinski, Tomas Milian von der Zusammenarbeit mit dem intellektuellen Filmkünstler Sergio Sollima. Auch Franco Nero kommt zu Wort und schwelgt von seiner Paraderolle des „Django“, ebenso Bud Spencer, der in Kooperation mit Terence Hill den Spaßwestern salonfähig machte. Natürlich kann bei all dem plauderfreudig unterfütterten Wissenszuwachs nicht auf jede Strömung in all ihren Auswüchsen eingegangen werden. Über knapp 90 Minuten wird viel Wesentliches vermittelt. Klar hätte es mehr sein dürfen, bei mehr als 400 Spaghetti-Western insgesamt fällt die Auswahl aber auch merklich schwer.
„Denn sie kennen kein Erbarmen“ ist die treffliche Hommage an ein oft gescholtenes Subgenre. Die bleibt dem Thema stets innig verbunden und lässt, als wäre das alles nicht schon Huldigung genug, die Musik noch weiterlaufen, als sich der Bildschirm längst schwarz gefärbt hat. Eine schöneres abschließendes Augenzwinkern hätte das Duo Panitz und Dollinger kaum finden können. Koch Media hat ihrem faszinierenden Einblick eine edle DVD-Veröffentlichung im Digipack spendiert. Neben dem Film enthält der Silberling eine 10-minütige Featurette „Auf den Spuren von wild, wild West“ mit Synchronsprecher Hartmut Neugebauer und Komponist Yullwin Mak. Dessen kompletter Soundtrack ist auf einer zusätzlichen CD enthalten. Hintergrundinformationen zu seiner Person und den Dreharbeiten des Films finden sich als Klappentexte in der DVD-Box. Wünsche bleiben da keine mehr offen.
Wertung: (8 / 10)