Endlich wieder Live-Musik. Naja, nicht im klassischen Sinne. Aber Leben im klassischen Sinne ist in der Corona-Krise ohnehin nur schwerlich möglich. Auch nicht für Musiker. Oder Clubbetreiber. Oder alle anderen, deren Einkommen von der kulturellen Vielfalt der Republik abhängen. Allerdings eröffnet die aktuelle Extremsituation auch neue Möglichkeiten. Mit der Schattenseite, dass die Echtzeit-Verbreitung von Konzertdarbietungen via Stream merklich unpersönlicher erscheint. Das originäre Erlebnis mit Ohrensausen, Bierdusche und Schweißgeruch wird die Not-Variante daher kaum ersetzen können. Zumindest für den Augenblick ist sie aber ein Kompromiss, mit dem sich in Zeiten allgemeiner Kontaktbeschränkungen prima Leben lässt.
Denn was sie bietet, ist Zerstreuung. Zumindest für ein paar Augenblicke. Dafür sorgte an diesem sonnigen Samstagnachmittag, neben gefühlt Hunderten anderen Künstlern rund um den Globus Singer/Songschreiber Evan Freyer. Der Wuppertaler, der in der Vorwoche bereits einen buchstäblichen Probelauf über seinen Youtube-Kanal streamte, postierte sich mit Akustikgitarre in einem Zimmer seiner Dachgeschosswohnung vor der Kamera und spielte über rund 80 Minuten Songs von gestern, heute und dem Wendler. Ja, auch das Cover des Schlagerausfalls „Egal“ wurde geschmettert. Dazu passte das „Bühnenbild“: Dachschräge mit „Super Mario“-Pilz, halb leeres Hintergrundregal mit Evans Werken, eine stehengebliebene Uhr als unfreiwilliges Sinnbild der Zeitlosigkeit von Musik. Ein Arrangement wie aus einem Song von ELEMENT OF CRIME. Oder der Innentasche der roten Lederjacke vom Wendler.
Zum Auftakt gab es „Der Geilste“ auf die Ohren. Da passte auch Evans SUM 41-Shirt. Seine Freude darüber, dass schon zu Beginn mehr als zehn Zuschauer an seiner Performance Anteil nahmen, war ihm anzusehen. Über den Live-Chat wurde der sympathische Pop-Rocker mit virtuellem Applaus bedacht. So ist das in der selbstauferlegten „Quarantäne-Isolation“. Auch wenn Evan in der mit sich selbst allein blieb, verzichtete er nicht auf Aufforderungen zum Mitsingen. Zwischen den Songs gab es munteres Daherreden und Chat-Observieren. Das kam an. Nach „ex“ und „Perfektionist“ waren es mehr als 30 Zuschauer. Darunter auch Kollege Chris von der Düssel, der eifrig im Chat mitmischte und Teil von (angedeuteten) Anekdoten über Knoblauchschnaps war.
Mit Nummern wie „Digitaler Held“, „Milliarden“, „8-Bit Generation“ oder „Nicht Blinzeln“ gab es stimmungsvolle Hits in Serie. Hinzu kamen Songs, die laut ihrem Urheber sonst nicht allzu häufig live dargeboten werden. Mit der Konsequenz, dass bei „Substanz über Stil“ das Booklet der CD textliche Hilfestellung leisten musste. Auch ein Vorteil des Streamings von Zuhause. Die chattende Masse dürstete es fortan nach persönlichen Favoriten. Doch die standen ohnehin weitgehend auf der Setlist: „Weißes Rauschen“, „Feuer“, zum Abschluss „Hand in Hand“. Dazwischen machte Evan solidarische Werbung für Kollegen, Plattenläden und Konzertstätten. Eben für die, denen aktuell der finanzielle Kollaps droht. So war es ein ungemein kurzweiliger Auftritt, der gut und gern auch noch Stunden hätte weitergehen können. Beim nächsten Mal aber doch lieber in Persona, mit bierseligem Pulk und Schweißgeruch. Bis dahin: Danke für die Zerstreuung!