Der zweite Tag des Groezrock-Festivals beginnt erfahrungsgemäß verkatert. Nach fünf Stunden Schlaf und gefühlten acht Gallonen Jupiler, Jägermeister oder vorgemixte Cocktails aus dem Pressebereich wird der morgendliche Start zur echten Herausforderung. Aber man ist ja nicht zum Spaß in der belgischen Provinz! Also ein Konterbier eingeschenkt, das Taxi bestiegen und ab zum Festivalgelände. Das Wetter zeigte sich gnädig und hielt sich mit praller Sonne dankbarerweise zurück. In Sachen Line-up versprach der traditionell besucherstärkere Finaltag einiges – gehalten wurde nahezu alles.
Den Startschuss gaben pünktlich zur Mittagsstunde die LOVE ZOMBIES aus England, die auf der Hauptbühne (Monster Energy) poppigen Punk-Rock mit Sängerin präsentierten. Statt erinnerungswürdiger Hits gab es jedoch vornehmlich Lolita-Posen, so dass sich das Vergnügen merklich in Grenzen hielt. Nach ihnen waren THE REAL MCKENZIES an der Reihe, die mit ihrem Mix aus Irish-Folk (natürlich mit Dudelsack) und Punk großen Zuspruch ernteten. Das Publikumsaufkommen war weit höher als bei den am frühen Abend des Vortages an gleicher Stelle aufspielenden MOTION CITY SOUNDTRACK und BROILERS. Und weil auch das Set stimmte (u.a. „Fool’s Road“, „Bugger Off“), gab es an diesem unerwarteten Highlight nichts zu rütteln.
Auf der zweitgrößten Stage im Impericon Zelt waren anschließend NASTY zu Gast. Die Beatdown-Durchstarter aus Belgien stellten ihren Prollo-Hardcore mit angemessen breiter Brust und Krachern des Kalibers „Shokka“ oder „Look At Me and Fuck You“ vor. Nur der Sound war, wie so oft auf dieser Bühne, ein wenig überzeugender Brei. Dem Publikum gefiel es trotzdem. Die nächsten im Bunde waren (wieder auf den Monster Energy-Brettern) OFF WITH THEIR HEADS. Die US-Punks bestechen nicht gerade durch ausgiebige Sympathiewerte, schreiben aber schlicht überragende Songs. Von denen hätten sie gern mehr präsentierten können, mit „Nightlife“, „Janie“, „Die Today“, „Self Checkout“, „Start Walking“ oder „Clear the Air“ war das Set aber trotzdem mehr als ordentlich bestückt.
Danach ging es wieder zum Impericon-Zelt, wo NO TURNING BACK die alte Schule des Hardcore feierten. Die Belgier überzeugten, gaben Tracks wie „What is Wrong With Me“ oder „Can’t Keep Me Down“ zum Besten und holten sich für „Destinatition Unknown“ stimmliche Unterstützung von COMEBACK KID-Shouter Andrew Neufeld. Auf der Hauptbühne gab es überschneidend TEENAGE BOTTLEROCKET auf die Ohren. Die Pop-Punk ’n Roller machten – wie am Vortag die ähnlich gearteten MASKED INTRUDER – großen Spaß und trieben die Zuschauerschaft mit „Skate or Die“, „Bigger Than Kiss“, „I Wanna Die“, I Don’t Want to Go“ oder „Bloodbath at Burger King“ an.
Gegen Viertel nach drei war es an TURNSTILE, die drittgrößte Bühne (Back to Basics) fachgerecht auseinander zu nehmen. Der groovende Hardcore der Mannen aus Baltimore wirbelte eine Menge Staub auf. Nicht allein aufgrund der immensen Qualität, sondern auch bedingt durch den unermüdlichen Einsatz des tobenden Pulks auf trockenem Grund. Der nutzte während des starken Sets (u.a. „Gravity“, „Pushing Me Away“, „Blue By You“) die ganze Breite der Bühne aus, bewies Textsicherheit und verwandelte das Zelt zum Abschluss in ein Tollhaus, bei dem Frontmann Brendan Yates im Massenauflauf auf der Bühne verschwand. Viel intensiver kann Hardcore kaum zelebriert werden!
Die kleine MacBeth-Stage fuhr darauf TIGER BELL auf, eine sehens- und hörenswerte Mädels-Punkband, die eine nette Variation von THE DONNAS & Co. bot. Auf den nebenstehenden Monster Energy-Brettern gaben sich FRENZAL RHOMB die Ehre, die ordentlich abgefeiert wurden, einmal mehr aber kaum als Höhepunkt durchgingen. Die Australier gefielen mit Songs wie „All Your Friends“ oder „Never Had So Much Fun“, gaben aber insgesamt kaum Grund für echte Begeisterungsstürme. Die garantierten im Anschluss jedoch THE LOVED ONES. Dave Hause hatte augenscheinlich mächtig Lust, sich nach mehrjähriger Abstinenz vor Publikum zu präsentieren. Mit ansteckender Spielfreude und begeisternder Hit-Zusammenstellung („Suture Self“, „The Inquirer“, „Sickening“, „The Bridge“, „Louisiana“, „Jane“) sorgte der folkig angehauchte Punk für zahlreiche Grinsegesichter.
Im Impericon-Zelt brach darauf die Zeit von RAISED FIST an. Die alteingesessenen schwedischen Hardcore-Verfechter haben mit ihrem jüngsten Album „From the North“ überraschende Wandlungsfähigkeit bewiesen. Der Sound an diesem Tag – da gab es wenig Raum für Überraschungen – fiel eher mau aus, was jedoch nichts daran änderte, dass Set („Some of These Times“, „Chaos“) und Auftritt gefielen. Die The Revenge-Stage spie um kurz nach halb sieben ANGEL DU$T aus, die als Ersatz für die ausgefallenen OBLITERATIONS auftraten. Die Band, wie TURNSTILE aus dem TRAPPED UNDER ICE-Umfeld, bot dasselbe Set wie auf ihrer kürzlich absolvierten Tour (u.a. „Stepping Stone“, „Smash You Up“ und „Extra Raw“) und rüttelte die gut mitgehende Meute mit kurzen Brechern zwischen Hardcore und Punk durch. Das hatte was!
Mit GOOD RIDDANCE gab sich auf der Hauptbühne zeitgleich ein weiteres Fat Wreck-Urgestein die Ehre. Die Stimmung im zum Teil tobenden Rund war ausgelassen, die bewährten Hits („Mother Superior“, „Yesterday’s Headlines“, „United Cigar“, „A Credit to His Gender“, „Libertine“, „Heresy, Hypocrisy and Revenge“) verfehlten ihr Ziel nicht. Eine rundum packende Performance. Bei MacBeth präsentierten THE DEAF im Anschluss 60’s-Rock mit Verve, Wonne und einem bevorzugt auf seinem Keyboard herumkraxelnden Tastenklimperer. Vor der kleinen Bühne wurden die Tanzbeine geschwungen und das angenehme Kontrastprogramm mit verdientem Jubel bedacht.
Unter dem Monster Energy-Logo kam es im Anschluss zur Rückkehr eines Klassikers: Neun Jahre nach ihrem letzten Konzert feierten die SATANIC SURFERS Wiederauferstehung. Zugegeben, ein vollends denkwürdiges Ereignis war es trotz freudiger Erwartung und zahlreicher Hits nicht. Denn der unlängst bei ATLAS LOSING GRIP ausgestiegene Frontmann Rodrigo Alfaro, der auf Fanforderungen nach alten Tracks in der Vergangenheit gern mal genervt reagierte, schien dem Braten (noch) nicht recht zu trauen. Umso mehr überraschte, dass gerade er die Parole ausgab, überwiegend Evergreens ihrer Frühphase zu schmettern. Vor der Bühne wurden Nummern wie „Head Under Water“, „…And the Cheese Fell Down“, „Together“, „Worn Out Words“, „Egocentric“, „PC = Potential Criminal“, „Even If Time Stood Still“, „U+I R 1“, „The Treaty and the Bridge“ oder „Hero of Our Time“ mit dankbarem Wohlwollen und kollektiver Sangesunterstützung aufgenommen. Man darf gespannt sein, wie es mit den Schweden weitergeht.
Mit COMEBACK KID lud bei Impericon danach der nächste Fan-Favorit zur lärmenden Party. Der gewaltige Pulk kam dieser Aufforderung gern nach und wurde auch vom arg bescheidenen Sound nicht abgehalten. Die Kanadier ließen einmal mehr Kracher in Serie hageln („Step Ahead“, „Wasted Arrows“, G.M. Vincent & I“, „Partners in Crime“) und überzeugten mit einer Energieleistung, die jeden Makel der Beschallung locker beiseite wischte. Die Hauptbühne präsentierte mit den MIGHTY MIGHTY BOSSTONES in direkter Folge eine weitere Tanzkapelle von Format. Der Ska-Klassiker dankte es mit einer überraschend punkigen Performance und einer lässigen Show im karierten Einheitszwirn. Bei gespielten Stücken wie „Graffity Worth Reading“, „The Impression That I Get“ oder „Where’d You Go“ brauchte man auf gute Laune ohnehin nicht zu warten.
Um kurz vor 10 bewiesen AS FRIENDS RUST im Back to Basics-Zelt, dass auch sie es noch verstehen, ihr (überschaubares) Publikum mitzureißen. Sie schmetterten bewährte, zwischen Punk und Hardcore taumelnde Songs wie „We On Some Next Level Shit“, „Half Friend Town“, „When People Resort to Name Calling“ oder „Laughing Out Loud“. Sänger Damien Moyal gab das Mikro gern an die textsicheren vorderen Reihen ab und zeigte samt Mitstreitern eine energetische Performance. Dagegen fielen AGNOSTIC FRONT, Headliner der Impericon-Stage, spürbar ab. Ihr Status ist unumstritten, was da ins Kunststoffrund bollerte, blieb jedoch überraschend stumpf. Der Klang war lausig, das Schlagzeug verkam zur Uffta-Schießbude und selbst das Geschrei Roger Mirets wirkte seltsam saftlos. An den geschmetterten Tracks („The American Dream Died“, „Dead to Me“, „Gotta Go“) gab es nichts auszusetzen. Ein Vergnügen war das Hardcore-Urgestein trotzdem nicht.
Ab Viertel vor elf strebte auch die Hauptbühne ihren Höhepunkten entgegen. Zuerst war es an MILLENCOLIN, der Masse mit ihrem gefälligen Soft-Core einzuheizen. Das gelang dank ausgewogenem Set („Twenty-Two“, „Fox“, „Chameleon“, „Bullion“, „Bring Me Home“, „Mr. Clean“, „Lozin‘ Must“, „No Cigar“) leichter Hand. Dazu wechselten die Schweden munter die Bühnenbanner und gaben sich sympathisch wie eh und je. Das stimmte selbst die größten Zweifler versöhnlich. Eineinhalb Stunden später entpuppten sich REFUSED bei absolut perfektem Live-Sound als würdiger Headliner. Schreihals Dennis Lyxzén mag mit seinen Anti-Kapitalismus-Statements angesichts des aufgefahrenen Bombasts streitbar bleiben, an der großen Klasse ihrer lichtintensiven Darbietung änderte das jedoch nichts.
Über 75 Minuten wurden packende Brecher des Kalibers „Rather Be Dead“, „The Refused Party Program“, „Summerholidays vs. Punkroutine“, „Hook, Line and Sinker“, „Liberation Frequency“ oder (natürlich) „New Noise“ aufgefahren. Nicht wenige Songs wurden instrumental ausgeweitet und erhielten so einen noch komplexeren Touch. Lyxzéns Stimme hallte wie eine Urgewalt aus den Boxen und machte den progressiven Hardcore der Schweden zu einem echten Erlebnis. Man kann von ihnen – und ihrem Erbe – halten, was man will, Zweifel an ihrer Klasse dürften nach solch einem Auftritt aber eigentlich keine mehr bestehen. So endete die 2015er-Ausgabe des Groezrock (wie schon vor zwei Jahren) mit einem wahren Paukenschlag. Anstrengend war der zweitägige Konzertmarathon auch diesmal. Gelohnt haben sich die (selbstauferlegten) Strapazen aber wieder ohne jede Frage. Bis zum nächsten Jahr!
Die Fotos stiftete Huffer, Huffer & Fuchs