09.05. – 10.05.2008 – Groezrock 2008 u.a. mit Billy Talent, Face to Face – Belgien Meerhout

groezrock-2008Tag 1:

Sich bei Liveberichten zu Festivals auf das Wesentliche zu beschränken, fällt schwer. Allen voran, wenn mit solchen Superlativen hantiert wird wie beim Groezrock 2008. Ob es im Independent jemals ein Line Up gegeben hat, bei dem die Augen im Vorfeld derart an Umfang gewannen, bleibt reine Spekulation. Für den Moment jedoch wurde das belgische Meerhout ´The Place to Be´ – sofern der geneigte Musikfreund bei Namen wie HOT WATER MUSIC, FACE TO FACE, ALKALINE TRIO oder SICK OF IT ALL in blanke Verzückung gerät. Dass die beiden erstgenannten (wie andere) zur Reunion- oder Revival-Show ausholten, sorgte für zusätzliche Anreize. Dazu stimmten die Rahmenbedingungen mit zwei (Zelt-)Bühnen, kaltem Bier zu fairen Preisen und Temperaturen konstant über 25 Grad. Konnte da überhaupt noch was schief gehen?

Nein! Denn es wurde ein denkwürdiges Festival. In allen Belangen. Sicher gab es Lückenfüller, Ausreißer und Bands von bescheidener Qualität. Die (meisten) großen Namen aber lieferten prompt und zielsicher. Dabei war ohnehin für jeden Geschmack etwas dabei. Die Emo/Screamo-Klientel kam mit Vertretern wie THE BLACKOUT, THE AUDITION, ALL TIME LOW und natürlich SILVERSTEIN auf ihre Kosten. Wenn auch nur die. Allen voran THE AUDITION blieben an Belanglosigkeit kaum zu überbieten. Das Publikum sah es ähnlich und verabschiedete sich in Teilen frühzeitig. Am besten weg kamen noch die Routiniers von SILVERSTEIN, die anfangs voll auf ihr jüngstes (und schwächstes) Album „Arrivals & Departures“ setzten. Mit „Sound of the Sun“ gab es gleich zu Beginn immerhin dessen besten Song, wobei anschließend auch Hits wie „Your Sword vs. My Dagger“ kein echtes Gleichgewicht bewirken konnten. Selbiges galt auch für die artverwandten FINCH, die zu vorgerückter Stunde aus der Versenkung auftauchten. Sie spielten vermehrt ältere Songs, allen voran natürlich „Letters to You“. Überspringen wollte der Funke jedoch nicht.

Das erste Highlight besorgten STRIKE ANYWHERE, die am frühen Freitagabend das kleine Zelt in Grund und Boden stampften. Der politische Hardcore-Punk hatte bis dahin wenig Konkurrenz. Lediglich die poppige Variante SET YOUR GOALS hatte zuvor auf großer Bühne eine nicht viel mehr als respektable Show geboten. Umringt von verschiedenen Mitgliedern der Fraktionen HOT WATER MUSIC, SILVERSTEIN und ANTI-FLAG zeigten STRIKE ANYWHERE schnell, wo der Hammer hängt. Das Publikum ging zum halbstündigen Hitfeuerwerk (u.a. „Amplify“, „Detonation“ und „Sunset on 32nd Street“) mächtig ab und neben Fingerpointern allerorten kam es auch zum ersten Circle Pit. Eine Zugabe gab es nach einem viel zu schnellen Ende leider nicht. Dennoch durfte man hier getrost Höchstnoten vergeben. Zu späterer Stunde schlugen ANTI-FLAG in die gleiche Kerbe und rissen mit starkem Set (u.a. „Turncoat“) und ebensolchem Einsatz das große Zelt ab, welches erstmals an diesem Wochenende prall gefüllt war. Glücklicherweise verzichteten sie in größerem Umfang auf ihre gern mit politischen Plattheiten veredelten Ansagen, so dass es selbst für Nörgler nix zu meckern gab.

Das nächste sichere Pflichtprogramm spielten ALKALINE TRIO am Freitagabend herunter. Was aber normalerweise als felsenfester Höhepunkt durchgeht, war an diesem Tag kaum mehr als wonnige Routine. Es haperte schlicht an der Songauswahl, der weniger neue Beiträge gut getan hätten. Hits gab es trotzdem, beispielsweise „Private Eye“, „We’ve Had Enough“ oder „Time to Waste“. Die Stimmung aber wollte nicht so hoch kochen wie gewohnt, was sicherlich auch am grottigen Sound lag, der den Auftritt nochmals schwächte. Beim finalen „Radio“ kamen Chuck Regan und Chris Wollard von HOT WATER MUSIC auf die Bühne und spielten ihren Song gemeinsam mit ALKALINE TRIO. Ein grandioses Ende eines soliden, wenn auch nicht eben begeisternden Auftrittes. Mehr Vorfreude als auf die besagten HOT WATER MUSIC konnte es eigentlich nicht geben. Und die Gainseville-Legende spielte (fast) genau das Set, welches man im Vorfeld zu träumen gewagt hatte. Hit reihte sich an Hit, wobei „Trusty Chords“, „Paper Thin“ oder „A Flight and a Crash“ natürlich nicht fehlen durften. Die Stimmung war ausgelassen, nicht wenige Stimmen im Publikum durch komplette Hingabe hörbar in Mitleidenschaft gezogen. Als Krönung wurde mit den BOUCING SOULS deren Smasher „True Believers“ gespielt, doch selbst dann wollte das Publikum noch mehr, worauf noch zwei viel umjubelte Zugaben folgten. Die streitbaren Headliner von BILLY TALENT lieferten abschließend Dienst nach Vorschrift. Das Set ist ohnehin immer das gleiche. Wer’s mag wurde sauber bedient.

Tag 2:

Bevor THE BONES am nicht minder sonnigen zweiten Tag eine überraschend starke Darbietung ablieferten, schlug im kleinen Zelt die Stunde des Hardcores. Auch dahingehend gaben sich die Veranstalter keine Blöße, was Bands wie CURSED mit moderner, THE SETUP mit metallener oder DO OR DIE mit klassischer Note hörenswert auf die Bühne stemmten. Zu den Enttäuschungen zählten die mit Nintendo-Orgel hantierenden HORSE THE BAND, die ihr starkes Album „A Natural Death“ vorstellten, klanglich aber in die Niederungen der Beliebigkeit entschwanden. Eine weitere Gardeperformance legten PARKWAY DRIVE vor, deren technischer Metal-Hardcore einmal mehr mit beeindruckender Präzision durch die Reihen fegte. Arg indes wurde es bei AGNOSTIC FRONT, die einen faden Brei altbekannter Knüppeltracks aus dem Hut zogen und diese bei schwacher Akustik ins Publikum nölten. Die Helden sagen leise Tschüß. Ganz anders SICK OF IT ALL, Höhepunkt des Samstagabends auf der zweiten Stage und auch insgesamt einmal mehr ganz vorn mit dabei. Das Set war famos wie eh und je, selbstverständlich versehen mit „Scratch the Surface“ und „My Life“, die Teilung des Publikums mit anschließender Kollektivkeilerei ebenso beeindruckend wie das abschließende Erstürmen der Bühne durch die Zuschauer. Koller und Co. vermittelten wie gehabt freundschaftliche Einheit, was der Pulk am Ende gar mit Crowdsurfern auf ihren Brettern dankte. Der reine Wahnwitz.

Ein frühes Highlight des Samstags waren THE LOVED ONES, die bei famosem Sound ein aus beiden Alben ausgewogenes Set melodischen Indie-Punks ablieferten. Ordentlich abgefeiert wurden Songs wie „The Inquirer“, „Pretty Good Year“ und zu vordererst „Jane“. Den zahlreichen Zugabe-Rufen durfte die Band leider nicht nachkommen, dafür ging es kurz darauf mit A WILHELM SCREAM weiter. Auch ihr ambitionierter Hardcore-Punk riss mit, blieb aber leider von argem Soundbrei überschattet. Die Band selbst, vor allem Sänger Nuno, zeigte sich bewegungsfreudig, was das Publikum bei Hits wie „The Horse“, „Killing It“ oder „Me vs. Morrissey…“ dankbar annahm. Am Nachmittag genügte den erst zwei Tage zuvor eingesprungenen BOUNCING SOULS die kleine Zeltbühne augenscheinlich nicht. Das Publikum drängte sich dicht an dicht und zollte den sympathischen Singalong-Street-Punkern Tribut. Die Band um Frontmann Gregg Attonito dankte es mit etlichen Hits, darunter „Anything“, „Lean on Sheena“ und zum zweiten Mal an diesem Wochenende natürlich „True Believers“. Eine gewohnt launige Massenparty.

Neben Punk-Rock, Emo und Hardcore kam der Ska zwar etwas zu kurz, erlebte durch THE TOASTERS und THE PLANET SMASHERS aber standesgemäße Würdigung. Wenn die auch von einem nicht unerheblichen Teil der Anwesenden ignoriert – schließlich versuchte Jägermeister durch diverse PR-Publikumsspielchen für sein Hörnerwasser zu werben – und im Sonnenschein auf der Wiese bratend zur Kenntnis genommen wurde. THE TOASTERS lockten am Nachmittag noch einige Tanzwütige nach vorn, die PLANET SMASHERS hingegen konnten zur Primetime trotz Hits des Kalibers „Blind“ nur wenig Zuspruch vor der großen Bühne ernten. Dafür sind die sympathischen Briten auf dem europäischen Festland wohl noch immer zu unbekannt.

Zu den Überraschungen des Line Ups zählten die klassischen Burning Heart Records-Urgesteine NO FUN AT ALL und 59 TIMES THE PAIN. Warum die Zweitgenannten, wie auch die PLANET SMASHERS, nach NO FUN AT ALL auftreten durften, bleibt angesichts des Zuschauerschwunds schleierhaft. 59 TIMES THE PAIN sorgten denn auch für die Enttäuschung des Wochenendes. Die Akustik war hundsmiserabel, der Gesang völlig verrauscht, zudem hatte man mit den BOUNCING SOULS handfeste Konkurrenz im zeitlichen Gefüge. Das Set war mit Krachern wie „More Out of Today“, „Working Man Hero“ oder „Can’t Change Me“ ausreichend reizvoll bestückt. Nur versaute der Klang jeglichen Spaß an der Wiederauferstehung der später zum Rock konvertierten Hardcore-Truppe. Deren schwedische Landsmänner von NO FUN AT ALL ließen erst einmal eine Bombe platzen, indem sie für den Herbst 2008 ein neues Album ankündigten und davon auch gleich zwei Songs präsentierten. Denen fehlte es zwar an Pep, aber Hauptsache die Normalo-Punks mit den überschaubaren Akkorden sind zurück. Ihr sonstiges Set ließ die letzte Platte „State of Flow“ links liegen und widmete sich ganz der Hit-gespickten Urzeit, was die Massen im großen Zelt aus voller Kehle zu danken verstand. „Believers“, „Master Celebrator“ oder das von einem Circle Pit begleitete „Catch Me Running Round“ sorgten für hohen Schweiß- und Adrenalinausstoß. Anspruchsvoll war ihre Musik noch nie. Dafür mitreißend und leicht intonierbar. Ein sensationelles Comeback, der Bewegungsradius der Band war wie gehabt sehr gering.

Mit dem Auftritt von FACE TO FACE ging für viele wohl ein Traum in Erfüllung, denn häufig waren Trever Keith und Konsorten in unseren Breitengraden nie unterwegs. Nichts dergleichen aber spielte an diesem Abend eine Rolle, denn die Jungs brannten ein beispielloses Hitfeuerwerk ab, bei dem vor allem ihre älteren Alben berücksichtigt wurden. Mit Ansagen hielt man sich weitgehend zurück, entschuldigte sich für gut 10 Jahre Bühnenabstinenz und schüttete die Hits nur so aus dem Ärmel. „Disconnected“, „A-OK“ oder „What’s in a Name“ waren nur einige der Songs, die über fast 60 Minuten zu absolutem Endorphinüberschuss führten. Natürlich hätten sie noch viel mehr spielen können (u.a. „Disappointed“), doch insgesamt wurde die begrenzte Zeit optimal genutzt. Neben HOT WATER MUSIC der ultimative Auftritt eines gigantischen Festivals. Bis zum nächsten Jahr.

(Christian/Thomas)

scroll to top