Prisoners (USA 2013)

prisoners„Pray for the best, but prepare for the worst.“ – Keller Dover

Abgründige Thriller haben Konjunktur. Ambivalente Charaktere, das Erfolgsrezept einer Vielzahl gegenwärtiger TV-Serien, halten dabei auch auf der großen Leinwand Einzug. Doch selbst wenn großartige Fernsehformate wie „True Detective“ die Messlatte mittlerweile in luftige Höhen bugsiert haben, gibt es immer wieder Kinoproduktionen, die dieser Qualität auch über die eingeschränkte Dauer eines Filmwerks gerecht werden. Ein glänzendes Beispiel ist „Prisoners“, ein komplex erzähltes und gerade aufgrund der Starbesetzung überraschend bitteres Entführungsdrama. Für das verantwortlich sind Regisseur Denis Villeneuve („Enemy“) und Drehbuchautor Aaron Guzikowski („Contraband“), die entgegen bewährter Hollywood-Formeln nicht auf Klischees setzen, sondern im Strudel tragisch gefärbter Zuspitzung nahezu alle Figuren zu Opfern ihrer Obsessionen machen.

Primär gilt das für Handwerker Keller Dover („Wolverine“ Hugh Jackman) und dessen Antrieb, das Gesetz nach der Entführung der Tochter in die eigenen Hände zu nehmen. Eigentlich sollte es ein gemütliches Thanksgiving werden, das Keller und Gattin Grace (Maria Bello, „A History of Violence“) samt Kindern bei Nancy (Viola Davis, „The Help“) und Franklin Birch (Terrence Howard, „Dead Man Down“) sowie deren Töchtern verbringen. Doch plötzlich sind die sechsjährigen Anna Dover (Erin Gerasimovich) und Joy Birch (Kyla Drew Simmons) spurlos verschwunden. In der Nachbarschaft hat Dover-Sohn Ralph (Dylan Minnette, „Saving Grace“) zuvor ein Wohnmobil gesichtet, über dessen Beschreibung der ermittelnde Polizist Loki (Jake Gyllenhaal, „Nightcrawler“) auf den zurückgebliebenen Alex (Paul Dano, „There Will Be Blood“) stößt.

Als der mangels Beweisen freigelassen wird und die Suche nach den Kindern ins Leere läuft, nimmt sich Keller der Sache selbst an. Kurzerhand entführt er Alex und sperrt ihn im verlassenen Haus seiner Eltern ein. Vor der am Boden zerstörten Grace verheimlicht er sowohl die Tat als auch den Plan, den vermeintlichen Täter mit Gewalt und Folter zur Kooperation zu zwingen. Die eingeweihten Dovers sind zunächst erschüttert, billigen Kellers Vorgehen jedoch. Schließlich könnte er Recht haben. Die amerikanische Provinz und das in sie gebettete Milieu der einfachen Leute hat in „Prisoners“ nichts romantisches. Hinter der idyllischen Fassade des regennassen Pennsylvania klafft ein düsterer Abgrund, der sich, über Lokis Fund eines seit Jahrzehnten verstorbenen Kindermörders oder den sich bald als Verdächtigen aufdrängenden Bob (David Dastmalchian, „Sushi Girl“), mosaikartig zu einem schlüssigen Ganzen verbindet.

Die groß aufspielende Besetzung, darunter Oscar-Preisträgerin Melissa Leo („The Fighter“) als Alex‘ verhärmte Mutter Holly, trägt ebenso zur beklemmenden Intensität bei wie die nüchterne Erzählung. Roger Deakins („No Country for Old Men“), Stammkameramann der Gebrüder Coen, findet dazu einmal mehr eine bestechende Bildsprache. Die erinnert, wie auch die grausamen Details und die beständige Auflösung moralischer Grenzen, an das Wirken David Finchers („Zodiac“). Frei von Schuld ist in Denis Villeneuves hervorragendem Thriller-Drama niemand. Die Unsicherheit, dies Hoffen und Bangen der Charaktere, überträgt sich unweigerlich auf den Zuschauer. Auch wenn der Verzweiflung der Familien viel Raum gewährt wird, mangelt es der Geschichte nicht an Spannung. Doch gerät selbst der vermeintlich konventionelle Schlussakt zum beeindruckenden Triumph über standardisierte Erzählformen. Es ist vor allem diese Klasse, die „Prisoners“ lange nachwirken lässt.

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

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