Little Big Man (USA 1970)

„Repeating rifles against bow and arrow. I never understood how the whites could be so proud of winning with them kind of odds.“ – Jack Crabb

Über Jahrzehnte lebte der Western, dies ur-amerikanischste aller Film-Genres, von der historischen Verklärung. Die betraf vor allem den Genozid an den Ureinwohnern. Zwar gab es vereinzelt Werke, in denen die Indianer als edle Wilde betrachtet wurden (im deutschsprachigen Raum bleibt „Winnetou“ das Maß aller Dinge), eine authentische Darstellung wurde jedoch erst mit dem Anbruch eines neuen Leinwandzeitalters möglich: Die New-Hollywood-Ära und der Spät-Western veränderten den Blick auf die Art, wie Amerika entdeckt und erschlossen wurde, nachhaltig. In „Das Wiegenlied vom Totschlag“, „Ein Mann, den sie Pferd nannten“ (beide 1970) oder auch „Der Texaner“ (1976) erfolgte eine überfällige Kurskorrektur, die der Kultur der indigenen Stämme – und ihrem brutalen Niedergang – (vergleichsweise) radikal Ausdruck verlieh.

Eine Abrechnung der besonderen Art erfuhren die Klischees und Mythen der Pionierzeit (ebenfalls 1970) durch „Bonnie und Clyde“-Regisseur Arthur Penn. Der stempelt den famos aufspielenden Dustin Hoffman („Die Reifeprüfung“) in „Little Big Man“ zum ultimativen Anti-Helden und lässt ihn als 121-jährigen Zeitzeugen der Indianerkriege während eines Interviews aus dem Nähkästchen plaudern. Dabei dient das klassische Western-Setting lediglich als Basis für eine mal parodierende, im Kern aber dennoch ernsthafte und oft bitterböse Abrechnung mit dem „American Way of Life“. Die Geschichtsbücher straft Penn Lügen, indem er die bedingungslose territoriale Expansion der weißen Siedler und Soldaten als eine Ideologie der Barbarei enttarnt. Dabei flechtet „Die Reifeprüfung“-Autor Calder Willingham (auf Grundlage des Romans von Thomas Berger) wiederholt reale Figuren und Begebenheiten in die fiktive Geschichte ein.

„It was downright discouraging. If it wasn’t the Indians trying to kill me for a white, it was the whites trying to kill me for an Indian.“ – Jack Crabb

Crabb, der seine Eltern als Zehnjähriger bei einem Indianerangriff verliert, wird von Cheyenne-Häuptling Old Lodge Skins (Oscar-nominiert: Chief Dan George, „Der Texaner“) als „Enkel“ adoptiert. Im für ihn fremden Sozialgefüge reift er zum Mann und verdient sich ob seiner Tapferkeit den Namen „Little Big Man“. Als er sich bei einem Vergeltungsangriff auf marodierende Soldaten als Weißer zu erkennen geben muss, um die eigene Haut zu retten, nimmt sein abenteuerlicher Lebensweg endgültig Fahrt auf: Der Christianisierung durch den gestrengen Reverend Pendrake (Thayer David, „Im Auftrag des Drachen“) steht die Doppelmoral seiner sexuell ungezügelten Gattin (Faye Dunaway, „Bonnie und Clyde“) gegenüber. Es folgen unter anderem Stationen als Quacksalber – mit Martin Balsam („Frühstück bei Tiffany“) als Körperpartien verlierendem Gauner – und Revolvermann – einschließlich der herrlich slapstickhaften (ersten) Begegnung mit Kunstschütze Wild Bill Hickok (Jeff Corey, „Butch Cassidy und Sundance Kid“).

Endgültig zum Wanderer zwischen den Welten wird Jack, als er in den Schoß der Cheyenne zurückkehrt – und unvermittelt in den vom blasierten General Custer (Richard Mulligan, „Harrys Nest“) geführten Feldzug gegen die Ureinwohner gerät. Den Unterschied zwischen Siedlern und Indianern skizziert der optimistische Old Lodge Skins einleuchtend simpel: Die Weißen sehen alles Weltliche als tote Dinge an, während die Natives in allem das Lebendige erkennen. Dies naturalistische Weltbild bewahrt aber weder den Stamm noch den eine Familie gründenden Jack vor feigen Massakern, die Penn für einen jugendfreien Film durch eindringlich drastische Bilder ausweist. Was „Little Big Man“ zum großartigen Filmerlebnis macht, ist der verblüffend reibungsfreie Taumel zwischen Szenen von fast übermütiger Absurdität und brutalen Massakern. Nicht zu vergessen die bittere finale Erkenntnis, dass der fortwährend entwurzelte Jack in beiden Kulturen scheitert. Ein Anti-Western mit großer Besetzung, großem Aufwand und noch größerem Nachhall.

Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

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