Auch nach einem halben Jahrhundert bietet James Bond, der unverwüstliche Meisterspion des MI6, den Superschurken dieser Welt die Stirn. Allerdings mit deutlich mehr Narben auf Körper und Seele als früher. Dieser modernere, grimmigere und irgendwie auch realistischere Anstrich ist eng verbunden mit der Besetzung Daniel Craigs, der sich des Schattens seiner fünf Vorgänger unerwartet leicht entledigte. Mit ihm wurden die Szenarien der Bedrohung bodenständiger und der stets aufrechte Held ein Stück lebensmüder. Vor diesem Hintergrund wagt „Skyfall“, 23. (offizieller) Film der Reihe und Jubiläums-Mission im 50. Kino-Dienstjahr einen nahezu existenzialistischen Blick in Bonds Psyche.
Konfrontiert wird er dabei aber nicht allein mit Geistern der eigenen Vergangenheit, sondern auch denen seiner Vorgesetzten M (Judi Dench, „Tagebuch eines Skandals“). Dass Männer wie er angesichts des lebensbedrohlichen Tagesgeschäfts auch aus den eigenen Reihen kaum Anteilnahme zu erwarten haben, zeigt sich am recht nüchternen Nachruf der Chefin auf 007. Denn der Auftakt in der Türkei, der in seiner überlebensgroßen Macho-Action eher an die klassisch übertriebenen Bond-Abenteuer der Vergangenheit anknüpft, lässt den kaum verwundbaren Helden scheinbar tot zurück. Aber eben auch nur scheinbar.
Unter die Lebenden wagt sich der innerlich zerrüttete Geheimagent erst, als ihn die Nachricht eines Anschlags auf die MI6-Zentrale in London ereilt. Ms Vorgesetzter Mallory (Ralph Fiennes, „Der ewige Gärtner“) stellt ihre Eignung als Leiterin des Geheimdienstes infrage. Immerhin wurde eine Festplatte mit Namen und Einsatzorten britischer Agenten in Terrorzellen gestohlen. Als erste Geheimdienstler via Internet enttarnt werden, bricht Bond, obwohl offenkundig weder physisch noch psychisch voll belastbar, nach Asien auf, wo er einem Killer nachstellt und dessen Spur zum psychopathischen Silva (grandios: Jarvier Bardem, „No Country for Old Men“) verfolgt.
Dessen Beweggründe sind im Universum von 007 nicht eben neu: Rache. Silva, einst selbst Agent in Diensten des MI6, fühlt sich von M betrogen und will ihren Tod. Dafür braucht es keinen Supersatelliten oder eine Festung in einem erloschenen Vulkan am anderen Ende der Welt, sondern lediglich Geduld und Genius. Die Festnahme durch Bond ist Teil des Plans und der packenden Hetzjagd durch Londons U-Bahnsystem folgt ein begnadet inszenierter Showdown im Schottischen Hochland, dem Albert Finney („Big Fish“) als Bonds väterlicher Vertrauter Kincade bärbeißigen Humor verleiht. Aber all das braucht Zeit. Nicht umsonst ist „Skyfall“ mit rund 140 Minuten der bislang längste Bond.
Doch das Warten lohnt. Allein die Szene, in der Bardems geschwätziger, homoerotischer und ungewöhnlich verletzlich wirkender Schurke den gefesselten Bond befummelt, ist von einer grotesken Brillanz, die den von Sam Mendes („American Beauty“) vielschichtig gestalteten Thriller vor allem auf charakterlicher Ebene zu einer überraschend starken Erweiterung der vermeintlich simplen Reihe macht. Dabei ist „Skyfall“ trotz der famosen Fotografie von Roger Deakins („True Grit“), dem Stamm-Kameramann der Coen-Brüder, weniger Kintopp als in der Vergangenheit üblich. Nach gewohnt spektakulärem Beginn entwickelt sich ein ungewohnt dichter Rache-Thriller mit erfreulich ambivalenten Zügen.
Trotzdem bleibt ausreichend selbstreferenzielles (und im Detail selbstironisches) Spiel mit Charme und Kult der eigenen Genese übrig, wofür nicht allein die zeitgemäße Verjüngung des Waffentüftlers Q (Ben Whishaw, „Das Parfüm“) zum beflissenen Computer-Nerd steht. Mehr noch als die beiden ersten Auftritte Craigs als 007 steht „Skyfall“ für eine Neuinterpretation der Figur. Unterstrichen wird diese auch durch die beiden Bond-Girls Bérénice Marlohe und Naomie Harris („Fluch der Karibik 2 + 3“), die deutlich hinter Denchs strenger Geheimdienst-Mutter zurückstehen müssen. Nicht allein Craigs bester Auftritt als Geheimagent Ihrer Majestät, sondern schlicht einer der großartigsten Teile des gesamten Franchises.
Wertung: (8 / 10)