Interview mit Pleil (August 2022)

Foto: Uwe (SPUNKK)

Hallo Marco, wie ist das Leben als Solomusiker in den ewig währenden Wirren einer globalen Pandemie?

Pleil: Um ehrlich zu sein, bin ich mittlerweile ziemlich ausgelaugt! Tatsächlich fand ich das am Anfang sogar recht spannend: die ganze Welt in einem kollektiven „Ist“-Zustand! Wie in einem Endzeit-Film: die Straßen leer und alles unheimlich ruhig.

Dann sind nach und nach alle durchgedreht. Und nach den zwei Jahren, wo man dann dachte: okay, fast alle geimpft und halbwegs vernünftig, kommt ein Wahninniger um die Ecke und meint, Krieg anfangen zu müssen.

In diesem ganzen Durcheinander habe ich dann noch privaten Kram verarbeiten und das neue PLEIL-Album „Keine Zeit“ promoten müssen. Ich könnte gerade eine Pause von der Welt gebrauchen!

Auch wenn mittlerweile wieder zahlreiche Konzertveranstaltungen stattfinden, scheinen die Besuchenden vielerorts fernzubleiben, so dass aus finanziellen Gründen u. a. verschiedene Festivals abgesagt wurden. Welche Eindrücke konntest du bei deinen jüngeren Auftritten dahingehend sammeln?

Pleil: Leider überwiegend negative Eindrücke! Diese Großveranstaltungen (also Festivals wie z. B. „Rock am Ring“) vermitteln einen komplett falschen Eindruck des aktuellen Zustandes! Mein erstes Konzert dieses Jahr, als Support für ACHT EIMER HÜHNERHERZEN, war toll!

Mal davon abgesehen, dass das auch eine absolut reizende Band ist, fand ich es aber schon etwas suspekt, dass am Merch-Stand dann auch eine Spendenbox stand. Von der Band für die Band. Also falls die Leute keine Lust haben, ein/e CD/Vinyl/Shirt zu kaufen, dürfen sie gerne ein paar Euro in die Box werfen, also neben dem Ticketkauf. Völlig absurd.

Als nächstes folgten dann meist eigene Konzerte mit „Eintritt frei“ vor der (vom Veranstalter durchaus begründeten) Angst vor ausbleibenden Zuschauern. Damit ver- bzw. entwöhnst Du aber auch immer mehr das Publikum und der sowieso schon arg gebeutelte Wert der Musik bzw. Kunst sinkt gefühlt immer mehr!

Ich kann da ja nur von meinen Erfahrungen sprechen. Aber andauernd Konzerte zu spielen, in denen zwar der Hut okay gefüllt ist, aber Du kaum CDs und Vinyl verkaufst und das Feedback aus Anstandsklatschen besteht, fördert nur den allgemeinen Frust!

Festgagen zahlt ja auch kaum jemand noch, es sei denn die Veranstaltung ist staatlich gefördert (was auch hier und da passiert ist, das muss man fairerweise sagen!). Davon abgesehen habe ich den Eindruck, dass immer weniger Leute Lust auf neue Musik haben bzw. Musik, die man entdecken und sich erarbeiten muss. Die Seuche an Cover- und Tribute-Bands breitet sich leider auch immer weiter aus.

Glaubst du, diese Entwicklung wird sich perspektivisch wieder umkehren, oder wird das kulturelle Angebot mehr noch stärker schrumpfen als es sich bislang abzeichnet?

Pleil: Ich bin der Meinung, die Lücke zwischen großen und kleinen Acts wird immer größer werden! Die Leute gehen offensichtlich lieber einmal im Jahr zu COLDPLAY in die Arena und zahlen auch gerne mal 150 Euro fürs Ticket und 8 Euro für ein schales Bier, als kleine(re) Acts zu supporten. Das ist dann auch mehr „Event“- als Konzerterfahrung.

Der alte Spruch, „Man muss sich sein Publikum erspielen“, wird komplett wegfallen, denn man wird als (unbekannter) Künstler einfach nicht mehr die Möglichkeit dazu haben, weil die kleinen Clubs früher oder später dichtmachen müssen!

Die Leute sind auch einfach faul geworden. Lieber Freitagabend die neueste Netflix-Serie bingen, als vor die Tür gehen und im schlimmsten Fall irgendwo mit Corona infizieren.

Vor kurzem hast du dein zweites Soloalbum „Keine Zeit“ vorgestellt. Auffällig ist, dass der Tenor der Platte im Vergleich zum Vorgänger, „Die Spur des Kalenders“, deutlich positiver erscheint und die Songs mitunter gar poppig wirken. Ist das deine künstlerische Antithese zur Corona-Tristesse der letzten beiden Jahre?

Pleil: Ach Nein. Ich habe bei den neuen Songs nach dem ersten Album und der „Liebe Grüße!/Jazz ist keine Option“-Single einfach gemerkt, dass ich für Demos und Songwriting mit dieser rudimentären Gitarre & Gesang in-einen-alten-Fotoapparat-singen-Basis nicht mehr weiterkam.

Mit Corona hatte das nur insofern zu tun, dass ich mir dann endlich mal die Zeit genommen habe, mich mit einem alten Kumpel zusammenzusetzen um mir ein kleines Heimstudio zu basteln. Einen Bass hatte ich mir zwischendurch auch wieder gekauft und so kam dann eins zum anderen.

Die Songs an sich habe ich so geschrieben wie immer, weil Du von „poppig“ sprichst. Vielleicht bastele ich irgendwann mal ein paar Songs vom „Die Spur des Kalenders“-Album mit Beats und Bass nach, dann sind die denen vom „Keine Zeit“-Album gar nicht so unähnlich!

Was kannst du allgemein zum Schaffungsprozess von Songs und Album erzählen?

Pleil: Zu allererst habe ich die Songs, die ich (wie gewöhnlich) auf der Gitarre geschrieben habe, mal in mein neues Heimstudio übertragen. Ich habe mir eine Smartphone-App mit ein paar Beats runtergeladen und einfach mal nach Lust und Laune Spuren aufeinandergeschichtet.

Vor allem habe ich bewusst gesagt: mir vollkommen egal, ob ich die so live solo umsetzen kann oder nicht! Einfach mal ohne Grenzen arrangieren. Als es dann Richtung Studio ging, habe ich dann mit dem Nicolas Epe (Produzent) ein paar Songs, YouTube-Videos und Bands hin- und hergemailt, damit er ungefähr wusste, wo ich hinmöchte. Und so hat sich das dann alles mit der Zeit geformt.

Welche Inspirationsquellen haben dich bei der textlichen und instrumentalen Arbeit an den neuen Songs beflügelt?

Pleil: Also mal davon abgesehen, dass ich den ganzen Tag Musik höre und immer irgendwo irgendwas (unbewusst) aufschnappe, wollte ich eigentlich hauptsächlich eines: endlich mal wieder Bass spielen!

Wer sich ein wenig in meiner Geschichte auskennt weiß, dass ich ja eigentlich Bassist bin. Jetzt habe ich mich endlich mal ausgetobt! Textlich habe ich keine Einflüsse, zumindest auch hier nicht bewusst. Manchmal fallen mir einfach ein paar einzelne catchy Sätze ein, um die ich dann etwas herumbaue. Liest sich total unspektakulär und unsexy, aber Songwriting ist eben auch Handwerk.

Die CD-Version von „Keine Zeit“ enthält als Bonus-CD „Mehr Zeit“. Darauf findet sich u. a. deine 2013er-EP „Punkt.statt,Komma“. Gerade im Vergleich zum neuen Material, wie bewertest du deine früheren Werke heute?

Pleil: Ich mag die „Punkt.statt,Komma“-EP immer noch sehr, sonst hätte ich sie ja auch nicht als Bonus beigepackt! Wie auch bei allen anderen alten Aufnahmen (auch von CLOUDBERRY und STRANGE) sage ich immer wieder: es waren und sind Dokumente seiner/ihrer Zeit! Mir ist nichts peinlich!

Die „Punkt.statt,Komma“-EP waren ja meine allerersten deutschen PLEIL-Solo-Songs. Ich wusste noch gar nicht, wo es hingehen sollte, deshalb sind sie vielleicht noch etwas, sagen wir, experimentell. Aber irgendwo musste und wollte ich schließlich anfangen!

Den Remix von Gustav Jäger feiere ich übrigens auch sehr, hatte ich schon ewig nicht mehr gehört, bis ich dann auf die Idee mit der Bonus-CD kam.

Foto: Soheyl Nassary

Eine der Vorab-Singles, „Depressive Komödianten“, hat es in die „Schlager Musikanten Playlist“ geschafft. Wie konnte das passieren? Und muss man mit dir bald im „ZDF Fernsehgarten“ rechnen?

Pleil: Das hatte ich per Zufall über Google entdeckt. Keine Ahnung, wie der Song da hinkam. Aber zum Release hat Timezone (Label) das Album und die Singles auf dieser MPN (Music Promotion Network)-Plattform hochgeladen, wo Radios, Redakteure etc. auf das Material Zugriff haben.

Ich schätze ma,l so kam das. Ich fand’s lustig, aber ein paar Leute haben mein Social-Media-Posting natürlich falsch verstanden und mir schon fast Verrat vorgeworfen, komplett albern!

Es gibt definitiv zwei Sachen, die ich niemals machen würde: „ZDF Fernsehgarten“ und Markus Lanz!

Die bisherigen Resonanzen auf „Keine Zeit“ waren durchaus euphorisch. Hatte das bereits Auswirkungen auf Konzertanfragen o. Ä.?

Pleil: Kurz und knapp: Nein! Leider. Zu der Zeit des Interviews sind wir ja noch mitten in den Sommerferien, vielleicht war Anfang Juli nicht der ideale Zeitpunkt für einen Release und Herbst wäre besser gewesen. Aber egal, wie Du es im Moment machst, ist es eh falsch, sei es Release, Tour-Planung oder was auch immer.

Festivals „bevorzugen“ verständlicherweise 2022 zum großen Teil noch das Line-Up, das sie eben die letzten 2 Jahre nicht buchen konnten und nun nachholen möchten und müssen. Und bei Club-Konzerten weiß ja jetzt auch wieder niemand, wie es mit Corona im Herbst aussehen wird. Mir bleibt im Moment nichts anderes übrig, als kurzfristig zu reagieren und zu spielen, was irgendwie möglich ist.

Wenn wir kommunizieren, geht es häufig auch um Filme. Was waren deine Highlights der letzten Zeit?

Pleil: Puh! Lass‘ mich kurz überlegen. Also die ganzen Marvel-Dinger regen mich nur noch auf, weil ich keinen Nerv und auch nicht die Lust habe, mir die ganzen Verweise und Easter Eggs zusammenzusuchen, um alle Zusammenhänge zu verstehen.

Viele der Blockbuster habe ich gesehen („Batman“, „Dune“, „The Northman“), aber so richtig gepackt hat mich keiner. Das ist mir mittlerweile alles zu sehr „style over content“. Und bei „The Book of Boba Fett“ und „Obi Wan Kenobi“ weiß ich nicht, ob ich mich drüber ärgern oder verzweifeln soll.

Ach ja… ich habe endlich mal „The Boys“ komplett an einem Stück durchgezogen, wobei ich das Ende von Staffel 3 dann ein wenig „underwhelming“ fand. Mal sehen wie’s da weitergeht.

Ansonsten sammele ich mir hier und da, wenn mal ein wenig Kleingeld übrig ist, die ganzen alten 80er- und 90er-Jahre-Horrorfilme auf Blu-ray zusammen, da waren die letzte Zeit z. B. „Night of the Living Dead“ (Remake von Tom Savini), „The Blob“ (Remake), „Runaway“ (Tom Selleck) und „Ritter der Dämonen“ bei. Das packt mich immer noch mehr als dieses CGI-Geballer allerorten.

Vor allem finde ich, dass man eine Story auch weiterhin in 90 bzw. 105 Minuten erzählen kann, ohne dass, wie man das auf Netflix & Co. mittlerweile so gerne macht, unnötig auf über 2 Stunden aufzublasen!

Aber Highlights gab’s echt wenige… ach warte! „Yellowjackets“!!! Fantastische Serie mit Melanie Lynskey, Christina Ricci und Juliette Lewis! Da freue ich mich sehr auf die 2te Staffel!

Welche Pläne hegst du für den Rest des aktuellen Jahres – und gegebenenfalls darüber hinaus?

Pleil: Auf jeden Fall kommt in naher Zukunft noch das erste amtliche PLEIL-Musikvideo, das ich mit meinem Art-Director Soheyl Nassary (EYETM Design & Kommunikation) im Mai gedreht habe. Soheyl sitzt gerade noch am Schnitt, aber das wird sehr cool! Wird natürlich ein Song vom „Keine Zeit“-Album!

Und: Ich möchte gerne dieses Jahr noch eine Menge Konzerte spielen, ich habe ja auch schon wieder den ein oder anderen neuen Song live getestet, also neu im Sinne von neuer als das neue Album! Schreiben tue ich ja immer, habe auch schon wieder so zwölf, dreizehn neue Songs am Start. Ich muss jetzt halt irgendwie schauen, dass ich „Keine Zeit“ weiterhin ordentlich pushen kann, das hat das Album einfach verdient!

Die letzten Worte dieses Fragenkatalogs mögen ebenfalls dir zustehen:

Pleil: Support Your Artist! Das neue PLEIL-Album „Keine Zeit“ findet Ihr u. a. über/unter folgendem Link: https://timezonerecords.lnk.to/keinezeit DANKE! Und seid lieb zueinander! M.

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