Die Authentizität von Film-Biographien ist ein Trugschluss. Nicht allein in Hollywood unterliegen sie kreativen Freiheiten, die reale Personen und Ereignisse meist auf den Geschmack eines Massenpublikums zuschneiden. Die häufige Folge: Verfremdung, Verklärung und Banalisierung. Es gibt Werke, die spielen erfolgreich mit dieser Gemengelage. „The Social Network“ ist ein treffliches Beispiel. Andere hingegen scheitern daran.
Edouard Delucs „Gauguin“ als misslungen zu bezeichnen, würde dem ausschnitthaften Blick auf das Leben des französischen Malers Paul Gauguin (Vincent Cassel, „Black Swan“) kaum gerecht. Trotzdem versagt der Film in zentralen Punkten – und gibt sich bei der Beschreibung der Beziehung des Künstlers zu einer 13-jährigen Tahitianerin fahrlässiger Verharmlosung hin. In der Geschichte ist die junge Muse des kränklichen Aussteigers deutlich älter. Die Wahrheit hätte den Blick auf Delucs Arthouse-Drama zwangsläufig verändert. Die Konsequenz ist der Kontroversen scheuende Weg des geringsten Widerstands.
Der Plot bedient sich Gauguins biografisch gefärbter Erzählung „Noa Noa“, die er nach seiner ersten Rückkehr aus Polynesien 1893 veröffentlichte. Die Macher berufen sich damit auf den Duktus des Künstlers selbst, der seinen im Tagebuchstil angelegten literarischen Abstecher mit erfundenen Begebenheiten anreicherte. Die Freiheit des Schaffenden wird damit zwar unmissverständlich verteidigt, doch schöpft der Film daraus keinen übergeordneten Nutzen. So bleibt lediglich ein nüchternes, oft dialogarmes Bildnis eines obsessiven Charakters.
Im Paris des Jahres 1891 stagniert Gauguins Entwicklung. Seine Kunst stößt auf wenig Anerkennung. Der daraus folgende Entschluss: Der Zeit seines Lebens verkannte Meister wagt den Ausbruch und reist zum Zwecke der Inspiration nach Tahiti. Die Familie, Unwillens ihn zu begleiten, lässt er zurück. Nach Freiheit lechzend, wirft der egozentrische Eigenbrötler die Ketten gesellschaftlicher Konformität ab und wagt am anderen Ende der Welt den Neuanfang.
Mit Wohlfühl-Selbstfindung hat das trotz schwelgerischer Naturbilder nichts zu tun. Der ausdrucksstarke Cassel wird als bärtiger Schrat zum Eremiten, malt bis zur Erschöpfung und macht sich nach erlittenem Herzinfarkt in die Wildnis auf. Dort landet er bei Eingeborenen, die ihm gleich die junge Tehura (Tuheï Adams) als Frau andienen. Die Grenzenlosigkeit, die Gauguin für sich beansprucht, findet in der Beziehung jedoch keinerlei Entsprechung: Tehura muss für ihn in bewegungsloser Pose verharren, wenn er sie malt, und wird durch seine zunehmende Eifersucht buchstäblich zur Gefangenen.
Die kreative Balance, die Gauguin anfangs zu finden scheint, geht Dulacs Werk weitgehend ab. Die narrative Elegie mündet in eine Verkettung von Fragmenten zwischen Hochgefühl und Depression. Erst malt der mittellose Franzose so lange, bis auf Tahiti keine Leinwand mehr übrig ist, dann wendet er sich von der Kunst ab und wird zum Hafenarbeiter, um sich und Tehura ernähren zu können. Ein kohärentes Ganzes wird aus den diffusen Einzelteilen kaum. Damit ist der mal betörende, mal langatmige Trip einzig der eingefleischten Programmkino-Klientel nahezulegen.
Wertung: (5 / 10)