Lange musste man auf das neue Epos von Martin Scorsese warten. Ein knappes Vierteljahrhundert schwirrte die Idee in seinem Kopf herum und erblickt erst jetzt, nach etlichen zu überbrückenden Schwierigkeiten, das Licht der Welt. Neben dem für Hollywood typischen Problem des Budget-Überzugs – letztlich kostete das Werk über 100 Millionen Dollar – hatte Scorsese auch einige Differenzen mit der Produktionsfirma. Mehrere Male musste er sein Werk umschneiden, so dass am Ende fast 60 Minuten auf der Strecke blieben. Als Vorlage diente Scorsese das Buch „Gangs of New York“ von Herbert Asbury, in dem es um die Bandenkriege im zerrütteten New York des mittleren 19. Jahrhunderts geht.
1846 stehen sich in den „Five Points“, einem heruntergekommenen Viertel mitten in New York, die „Natives“, unter ihrem Anführer William Cutting, genannt Bill „The Butcher“ (Daniel Day-Lewis), und die irisch-stämmigen „Dead Rabbits“ mit ihrem Wortführer „Priest“ Vallon (Liam Neeson) gegenüber. Im folgenden Scharmützel soll über die Vorherrschaft über die Five Points entschieden werden. In einem blutigen Kampf kann „The Butcher“ seinen Kontrahenten vor den Augen seines jungen Sohnes Amsterdam Vallon töten. 16 Jahre später kehrt Amsterdam (Leonardo DiCaprio) aus dem Heim zurück nach New York, um sich am Mörder seines Vaters zu rächen.
In der Zwischenzeit hat dieser aber nicht nur die Herrschaft über die Five Points übernommen, sondern seinen Einfluss auf die ganze Stadt ausgeweitet. Amsterdam gelingt es, in die Nähe von Bill „The Butcher“ zu gelangen und kann durch kleinere Dienste sein Vertrauen erlangen. Dieses entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einer Art Vater-Sohn-Beziehung, ohne dass Amsterdam sein eigentliches Vorhaben aus den Augen verlieren würde. Daran ändert auch seine aufkeimende Liebe zur Diebin Jenny Everdeane (Cameron Diaz) nichts. Am 16. Jahrestag des Sieges über „Priest“ Vallon soll der „Butcher“ ein Ende finden. Doch das Attentat schlägt fehl und Amsterdam soll sein Dasein als Symbol der Unbesiegbarkeit des „Butchers“ fortan in den Five Points fristen. Doch anstatt aufzugeben, erweckt er die Dead Rabbits zu neuem Leben.
Wer, wenn nicht Martin Scorsese („Wie ein wilder Stier“, „Taxi Driver“), hätte einen Film dieser Größenordnung über ein solches Thema realisieren können? Trotzdem ist das (un-)fertige Produkt nicht der Meilenstein geworden, den sicherlich viele erwartet hätten. Gründe dafür gibt es einige, der triftigste dürfte aber sicherlich die Handlung sein, die allzu oft zu große Runden dreht und zu viel will. Da wäre einerseits der geschichtliche Aspekt, der von einer weitgehend unbekannten wie gewalttätigen Fußnote aus der US-Historie erzählt und den Mythos, die Vereinigten Staaten seien auf Freiheit und Gerechtigkeit aufgebaut, mit Füßen tritt. Der Schmelztiegel New York offenbart dabei Grabenkämpfe zwischen Einheimischen und Migranten aus Europa sowie von Feuerwehr und Polizei, die sich neben alltäglicher Korruption ebenso die Schädel einschlagen.
Gerade ankommende Einwanderer aus Irland werden vom Bootssteg weg direkt für den Militärdienst im Bürgerkrieg verpflichtet, wenige Meter weiter gibt es die passende Uniform und der Gang zum Schiff stellt einen regen Austausch aus Nachschub für den Kampfeinsatz und Särgen bereits Gefallener dar. Augenblicke wie diese gehören zu den großen Stärken des Films. Doch eine Geschichtsstunde zu diesem Preis macht kein Studio mit und so gibt es neben der Racheplotte auch noch eine Liebesbeigabe, die sich aber trotz einer Laufzeit von fast drei Stunden nicht entwickeln kann. Es gibt zu wenige Szenen zwischen DiCaprio und Diaz, die die Entwicklung der Gefühle der beiden erklären und rechtfertigen würden. Vor allem im mittleren Drittel des Films muss hier einiges der Schere zum Opfer gefallen sein.
Auch die Auswahl bzw. Leistungen der Darsteller weisen Höhen wie Tiefen auf. Cameron Diaz („Being John Malkovich“) überzeugt bestenfalls bedingt, dafür hat sie einfach zu wenige relevante Momente. Doch auch von Leonardo DiCaprio, der unlängst in „Catch Me If You Can“ begeisterte, fehlt streckenweise die nötige Ausstrahlung und Intensität. Allerdings haben die beiden Stars ein weiter gewichtigeres Problem, nämlich den überragenden Daniel Day-Lewis („Im Namen des Vaters“). Dieser überschattet mit seiner charismatischen und zu jeder Zeit begeisternden Darstellung alle anderen Darsteller um Längen und erhielt völlig zu Recht eine Oscar-Nominierung für die beste Hauptrolle.
Zwar spielt er den Schurken, der ohne mit der Wimper zu zucken mordet, plündert und nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist, doch ist er auch kein stumpfsinniger Schlächter, sondern vielmehr ein facettenreicher und ehrenhafter Mann. Namhaft liest sich auch die Liste der Darsteller, die eher in der zweiten Reihe zu finden sind. So hat Liam Neeson („Schindlers Liste“) einen Kurzauftritt, während John C. Reilly („Boogie Nights“) einen alten Weggefährten Vallons und im späteren Verlauf einen korrupten Polizisten mimt. In weiteren Rollen agieren Jim Broadbent („Iris“), Henry Thomas („Legenden der Leidenschaft“), Brendan Gleeson („Braveheart“), Giovanni Lombardo Radice („Ein Zombie hing am Glockenseil“), Stephen Graham („Snatch“) und Eddie Marsan („Gangster No. 1“).
Prunkstück des Films sind jedoch die Kulissen, die in der Nähe von Rom entstanden. Ganze Straßenzüge wurden hier errichtet und der Zuschauer hat wirklich das Gefühl, inmitten von New York des Jahres 1862 zu sein. Diese Kulissen wurden in opulenten Bildern von Kameramann Michael Ballhaus festgehalten und wie so oft bei Scorsese, wird der Film von seinen überzeugenden und grandiosen Bildern zu einem großen Teil getragen. „Gangs of New York“ hätte wirklich noch viel mehr werden können, doch man darf wohl auf Scorseses möglichen Director‘s Cut gespannt sein. Dennoch, einigen Unkenrufen zum Trotz ist ihm großes und raues Kino gelungen, perfekt ausgestattet und mit einem mitreißenden Daniel Day-Lewis als großer Trumpf.
Wertung: (7,5 / 10)