Alle Jahre wieder: das Brakrock Ecofest. Ein kleines, überschaubar dimensioniertes, gerade deshalb aber ungemein lohnenswertes Open-Air-Festival in der belgischen Kleinstadt Duffel (nahe Antwerpen). Von großen Sponsoren fehlt jede Spur. Stattdessen sorgen lokale Versorger für Speis, Trank und Ambiente. In der Spitze bürgen rund 2.500 Zuschauerinnen und Zuschauer – in Teilen abenteuerlich kostümiert, in Masse angetrunken – für ausgelassene Stimmung zwischen Burgruine und Deich.
Dass sich trotz exzellenter Reputation und alljährlich großartigem Line-Up nicht mehr Menschen in die heimliche Festival-Metropole verirren, erscheint nur schwer nachvollziehbar. Für alle Teilnehmer, egal ob Dauergäste oder Einzeltäter, ist das jedoch ein Segen. Denn von Überfrachtung oder sublimierter Kommerzialisierung kann hier keine Rede sein. Das Drumherum bleibt reduziert, im Mittelpunkt stehen die Bands und ihre Auftritte. Die hatten es auch diesmal in sich. Dazu die Chronologie der Ereignisse:
Freitag, 3. August
17:00 Uhr, Ruin Stage
Auf der kleinsten der drei Bühnen, der Ruin Stage, eröffneten 69 ENFERMOS den musikalischen Reigen. Laut Plan standen den brasilianischen Hardcore-Punks lediglich zehn Minuten Bühnenpräsenz zur Verfügung. Ob es schlussendlich mehr waren, ist zumindest durch diese Quelle nicht überliefert. Denn auf den zweitgrößten Brettern, der Wood Stage, begannen kurz darauf ST. PLASTER ihr Tagwerk.
Die wenigen wahrgenommenen Songs des weit gereisten Trios machten aber unzweifelhaft Laune. Nur wie so oft an diesem Wochenende mussten Entscheidungen getroffen und Prioritäten gesetzt werden. Daher finden eine Reihe unzweifelhaft sehenswerter Bands, etwa D.I., SCHEISSE MINNELLI, HIT THE SWITCH oder WE OUTSPOKEN im Nachgang auch keine (weitere) Erwähnung.
17:10 Uhr, Wood Stage:
In Belgien unkte es bei der Erwähnung von ST. PLASTER mitunter „Supergroup“. Dabei ist das von Adrian Delange (CALL IT OFF) und Tim van Doorn (Big Dog Recordings) initiierte, betont kurzlebige Bandprojekt vor allem eines: eine hochkarätige Hommage an den Melo-Core der Neunziger.
Live unterstützt von Hans Roofthooft (F.O.D.) und Remy Dekkers (DOWZER), gewährte das dynamische Duo packend Gelegenheit, die Songs des selbstbetitelten Debütalbums zu erleben, bevor ST. PLASTER im Spätherbst begraben wird. Die Stimmung war bei Hits des Kalibers „You’re Making It Worse“, „Run to Your Shelters“, „Booya Motherfucker” oder „Cunt“ bereits ausgelassen. Schade, dass diese Band keine Zukunft hat.
17:45 Uhr, River Stage
Der multinationale Charakter des Line-Ups wurde auch durch BLOWFUSE genährt. Die Spanier mixen munter Punk- mit Alternative-Rock, was neben reichlich Druck auch eine Menge Groove mit sich bringt. Das Publikum wusste diesen in eine zünftige Bühnenpräsenz übersetzten Ansatz jedenfalls heuer zu würdigen, was angesichts trefflicher Beiträge wie „Dreams“, „Angry John“, „Outta My Head“ (alle vom jüngsten Album „Daily Ritual“) oder „Behind the Wall“ auch nicht weiter schwerfiel.
Das beständig anwachsende Publikum jedenfalls hatte sichtlichen Spaß. Die Band ebenso, was u. a. in einen Sprung von Sänger Oscar von einer seitlichen Bühnenstrebe ins Publikum mündete. Zu meckern gab es da überhaupt nichts.
18:20 Uhr, Wood Stage
Mit ANTILLECTUAL hielt noch vor dem Auftritt des Headliners PROPAGANDHI der politische Punk-Rock Einzug. Die Niederländer haben sich durch ihre konsequente Attitüde einen ebenso wohlklingenden Namen gemacht wie durch ihre melodiebetonte Musik. Nicht umsonst zierte eine der Boxen auf der Bühne ein Banner mit der Aufschrift: „Critical Times Call for Critical Culture“.
Diese fand in Tracks wie „The Invisible Hand Meets the Visible Fist“, „Racist Rash“ oder „If You’re Not Outraged“ standesgemäße Vehikel. In Sachen Atmosphäre ging es zwar eher gediegen zu, grundlegend überzeugend geriet der Auftritt des Trios jedoch ohne jeden Zweifel.
19:00 Uhr, River Stage
Binnen weniger Jahre haben sich NOT ON TOUR zur festen Instanz in Sachen Punk-Rock gemausert – und zu Dauergästen auf Europas Festivals. Das Markenzeichen kurzer, ungemein melodischer Songs und die einnehmende Stimme von Frontfrau Sima gestalteten auch den neuerlichen Auftritt der israelischen Combo beim Brakrock zum waschechten Vergnügen.
Die Stimmung war ansteckend heiter und wer konnte, schmetterte Hits wie „Flip“, „Therapy“, „I Wanna Be Like You“, „Fantasy World“, „Just Forget It“ oder „Gut Feeling“ lauthals mit. Ein wiederum äußerst sympathischer Auftritt mit gesteigertem Party-Faktor.
19:45 Uhr, Wood Stage
Die Tanzbeine wurden beim Stelldichein von THE BENNIES anschließend zum eifrigen Mitschwingen animiert. Die extravaganten Australischen Ska-Synthie-Rocker brannten ein Feuerwerk der guten Laune ab und brachten den Pulk mit Smashern wie „Party Machine“ (mit anknüpfendem Cover des BEASTIE BOYS-Klassikers „Sabotage“), „My Bike“, „Anywhere You Wanna Go“ oder „Get High Like an Angel“ in konstante Wallung.
Ihre Freude über die Partizipation des Publikums konnten die weitgereisten Spaßvögel kaum verbergen. Entsprechend kurzweilig geriet ihre Präsentation auf den Brettern der belgischen Provinz.
20:30 Uhr, River Stage
Mit den TOY DOLLS gab sich darauf der erste Uralt-Klassiker des Wochenendes die Ehre. Die Briten um Frontmann und Gründungsmitglied Michael „Olga“ Algar feiern aktuell ihr 40-jähriges Bestehen und traten mit einer munter kurzweiligen Show den Beweis an, dass ihr (Fun-)Punk auch in der Gegenwart trefflich funktioniert.
Mit bunten Haaren, Aufzügen und Brillen sorgte das Trio für den richtigen Rahmen und beschallte die gut aufgelegte Meute mit Gassenhauern der Güteklasse „Fiery Jack“, „The Death of Barry the Roofer with Vertigo“ oder (natürlich) „Nellie the Elephant“. Ein sehr amüsanter Auftritt.
21:35 Uhr, Wood Stage
Der nächste Underground-Wegbereiter ließ nicht lange auf sich warten. Allerdings stehen D.O.A. eher für die Wurzeln des Hardcore-Punks. 1978 gegründet, bestand das kanadische Trio zunächst bis 2013, wurde von Frontmann Joe Keithley aber nur ein Jahr später mit neuen Mitstreitern revitalisiert.
An Bewegung auf wie vor der Bühne mangelte es beim Brakrock ungeachtet des fortschreitenden Alters (aller Beteiligten) nicht, woran Smasher wie „Class War“, „World War 3“, „The Enemy“ oder „You Need an Ass Kickin‘ Right Now“ unstrittigen Anteil hatten. Von der Verrentung ist dieser Klassiker damit noch immer angenehm weit entfernt.
22:30 Uhr, River Stage
Ebenfalls aus Kanada stammen PROPAGANDHI, deren Hardcore-Punk der Fat-Wreck-Tage über die Jahre immer deutlicher mit Metal-Anteilen aufgeladen wurde. Das sorgte auch vor dem begeistert mitgehenden Pulk in Belgien für atmosphärisch wandelbare, wunderbar druckvolle Beschallung.
Neben jüngeren Beiträgen, etwa „Failed Imagineer“, „Lotus Gait“, „Failed States“ oder „Comply/Resist“ gab es auch ältere bis alte Kracher der Güteklasse „Potemkin City Limits“, „Dear Coach’s Corner“, „Fuck the Border“, „Back to the Motor League“, „…And We Thought That Nation-States Were a Bad Idea“ und „Anti-Manifesto“ auf die Ohren. Die Begeisterung des Publikums und die gewohnt erstklassige Leistung des Quartetts machte den krönenden Abschluss des ersten Festival-Tages zu einem unbestrittenen Highlight des Gesamtwochenendes.
So neigte sich ein abermals großartiger Tag auf dem Brakrock Ecofest dem Ende entgegen. Wer noch nicht vollends betrunken oder körperlich ramponiert war, gönnte sich noch einen Absacker oder eine überfettete Portion Fritten – kulinarisch war zwar wieder für Abwechslung gesorgt, die teils gepfefferten Preise und die nicht immer magenfreundliche Qualität dürfen hingegen wieder als gewichtigstes Manko angeführt werden.
Samstag, 4. August
12:15 Uhr, Wood Stage
Die Ausgelassenheit des Vorabends ging zwar nicht spurlos an Geist und Körper vorüber, gemessen an der Qualität der früh aufspielenden Kapellen stand Müßiggang jedoch auch am Samstagmittag außer Frage. Und da das Wetter mit angenehmen Temperaturen auch am zweiten Tag mitspielte, lud mit F*CKING ANGRY die erste – und erste deutsche – Band zur putzmunteren Auftaktbeschallung ein.
Der grölige, auf Deutsch und Englisch geschmetterte Hardcore-Punk lockte zwar noch nicht die großen Massen vor die Bühne, blieb dank markanter Frontfrau und Tracks zwischen Krawall und Melodie (z. B. „Fucking Angry“, „Atomstrom“ und „Dancing in the Streets“) aber in Ohr und Gedächtnis haften. Ein Einstand nach Maß!
12:40 Uhr, River Stage
Mit FOR I AM spielte gleich die nächste Band mit weiblicher Stimmgabe auf. Allerdings pflegen die Jungs und das Mädel aus Antwerpen und Umland einen eher pop-punkigen Stil. Schwer hatte es der energetisch auflaufende Fünfer nicht, die Zuschauer in Bewegung zu versetzen.
Wenn einem unerheblichen Teil der Anwesenden vor der Stage, mutmaßlich der Vortagsaktivitäten geschuldet, auch eher an wohlwollendem Zuschauen gelegen war. Der Gig jedenfalls machte Lust auf mehr. Für das baldig erscheinende neue Album eine durchaus wonnige Hypothek.
13:15 Uhr, Wood Stage
Im Anschluss: Wieder eine Combo aus Deutschland, wieder Hardcore-Punk. Im Falle der famosen STRAIGHTLINE gesellt sich aber noch eine ordentliche Portion Thrash hinzu. Die sympathischen Münchner ließen es ordentlich krachen und zwangen einen Gutteil des Publikums, die Müdigkeit im Circle-Pit oder beim Mitwippen aus sicherer Entfernung abzuschütteln.
Der stattliche Sympathiewert fand seine Entsprechung auch im Set, das u. a. „Not Afraid“, „Too Old to Die Young“, „Generation Lost“ und „How Can You Sleep at Night“ (allesamt vom jüngsten Langspieler „Vanishing Values“) umspannte. Betriebstemperatur und Begeisterung stiegen an diesem Punkt um die Wette. So durfte es weitergehen.
13:50 Uhr, River Stage
Ging es auch, in Gestalt der DEECRACKS aus Österreich. Deren Drei-Akkorde-Vollgas-Sound weckte unweigerlich Erinnerungen an Klassiker wie HARD-ONS oder THE QUEERS. Das Trio legte los wie die Feuerwehr, pflügte durch geschwind vorgetragene Songs wie „My Baby Quit Rehab“, „I Wanted It All“, „Adderall“ oder „Mentalane“ und spornte die Meute zum zünftigen Mitwackeln an. Zum waschechten Highlight reichte es zwar nicht, dafür machte der Auftritt ordentlich Laune. Mehr als das durfte eigentlich auch nicht verlangt werden.
14:25 Uhr, Wood Stage
Die Herabsenkung des Niveaus – und ein weiteres unbestrittenes Highlight – besorgten THE DOPAMINES, die frisch aus dem Flieger gestürzt waren und zwischen Übermüdung und einsetzender (oder fortschreitender?) Trunkenheit ein schieres Feuerwerk zündeten. Einerseits aufgrund rauer Punk-Kracher wie „Ire“, „Business Papers“ oder „Heartbeaten By the Police“ und andererseits ob der über die Zuschauerschaft im Allgemeinen – und einen direkt vor der Bühne postierten Interessierten im Speziellen, der es gewagt hatte, Bassist Jon Weiner (oder besser: sein Arbeitsgerät) zu kommentieren – gebrachten Fluchtirade.
Die pöbelnden Beleidigungen („You fucking little tiny penis motherfucker!“) trugen maßgeblich zur Erheiterung bei, rüttelten aber nicht an der auch musikalisch beachtlichen Klasse des Gigs.
15:05 Uhr, River Stage
Mit PEARS hielt einmal mehr Rumpelstilzchen Einzug. Denn Frontmann Zach Quinn sprang und wütete in gewohnt mitreißender Manier über die Bretter. Das Publikum ging merklich mit, wobei die positive Energie Quinns, der immer wieder zu Scherzen aufgelegt war, in der Vergangenheit nicht zwingend selbstverständlich schien.
Aus Solidarität mit Bassist Erich, der sich bei einem vorangegangenen Konzert ein blaues Auge eingefangen hatte, traten auch die übrigen Bandmitglieder mit gefärbter Augenpartie auf. In Sachen Songauswahl gab es dank Hits des Schlages „Cumshots“, „The Flu“, „Victim to Be“, „Snowflake“, „Hey There, Begonia“, „You’re Boring“ oder „Green Star“ nix zu meckern. Eine von vorn bis hinten packende Darbietung der Hardcore-Punks.
15:45 Uhr, Wood Stage
Wer bis zu diesem Zeitpunkt dachte, Bands aus dem Fat-Wreck-Raster wären bei der diesjährigen Festivalausgabe unterrepräsentiert, dürfte nach den Performances von PEARS und SMOKE OR FIRE vorläufige Linderung erfahren haben (immerhin standen ja noch TEENAGE BOTTLEROCKET in den Startlöchern).
Die Zweitgenannten, durch die Umsiedlung von Sänger Joe McMahon nach Deutschland dezent in den Hintergrund gerückt, wurden herzlich empfangen und die gespielten rau-leidenschaftlichen Punk-Tunes, ein Best-of-Set inklusive „Southpaw“, „Filter“, „The Patty Hearst Syndrome“, „Neon Light“ und „Melatonin“, ließen garantiert keine enttäuschten Gesichter zurück. Für McMahon sollte der Arbeitstag damit noch nicht vorüber sein. Doch dazu später mehr.
16:25 Uhr, River Stage
Bei CIGAR durfte man auf die Wirkung ihrer Performance durchaus gespannt sein. Als Band aus der zweiten Reihe des Melo-Cores erregten sie Ende der Neunziger punktierte Aufmerksamkeit, ohne jedoch aus dem Schatten der omnipräsenten Fat-Wreck- und Epitaph-Kollegen heraustreten zu können. Umso überraschender schien die Eigenwahrnehmung, beschien sich das Trio aus Oregon und Kalifornien doch an verschiedenen Stellen Klassikerstatus.
Dem Mob schien das nur recht, immerhin bestand das Set nahezu ausschließlich aus Tracks des 1999er-Albums „Speed is Relative“ – darunter „Two Kevins“, „No More Waiting“, „Dr. Jones“ und „Mr. Hurtado“. Unter dem Strich eine ansehnliche Show, über deren Nachhall aber durchaus unterschiedliche Auffassung bestehen durfte.
17:10 Uhr, Wood Stage
Ein weiterer altgedienter Melo-Core-Vertreter aus der zweiten Reihe ist MUCH THE SAME. Dass deren Entwicklung aktuell jedoch merklich nach oben zeigt, liegt an ihrem überaus gelungenen jüngsten Album „Everything is Fine“. Auf ihrer zweiten Europa-Visite überhaupt – und der ersten seit 2007 – standen aber nicht allein Beiträge dieser (z. B. „Snake in the Grass“, „Burner“, „You Used to Have a Garden“), sondern auch ihrer übrigen Platten (darunter „American Idle“, „Masquerade“, „Gutshot“) auf dem Programm.
Vor der Bühne nahm die Bewegung beständig zu und dem Vierer aus Chicago war die Freude über die geglückte Rückkehr in die alte Welt deutlich anzumerken. Hoffentlich erfolgt die nächste Tour durch unsere Breiten nicht erst in zwölf Jahren.
17:50 Uhr, River Stage
Als ein erwartbarer Höhepunkt entpuppten sich MASKED INTRUDER. Die wie üblich von Polizei-Aufpasser Officer Bradford im Zaum gehaltenen Schwerverbrecher (und Herzensbrecher) mussten bei ihrem sensationell unterhaltsamen Auftritt jedoch auf die Beteiligung von Intruder Yellow verzichten (#FreeYellow), so dass am Bass eine weibliche Ersatzkraft mit lila Sturmhaube in Erscheinung trat. Die damit verbundene Auswirkung auf die Background-Vocals erwies sich als merklicher Zugewinn.
Aber auch sonst bereiteten Knaller wie „I’m Free (At Last) “, „No Case“, „The Most Beautiful Girl“, „I Don’t Wanna Be Alone Tonight“, „Crime Spree“, „Hey Girl“ (mit Unterstützung von Roger Lima), „Heart Shaped Guitar“ oder „Stick ‘em Up“. Eines zusätzlichen Anheizers hätte es angesichts der rauschenden Party kaum bedurft. Doch Officer Bradford spornte den Pulk mit Stinkefingern, Stagedives und Strip-Einlage zusätzlich an. Das Spaß-Level der Pop-Punk’n’Roller ist auf diesem Niveau nur schwerlich zu toppen.
18:35 Uhr, Wood Stage
Nächster Programmpunkt: Dave Hause, der mit Unterstützung seiner MERMAID Solo-Tracks u. a. vom jüngsten Langspieler „Kick“ aufführte (u. a. „Weathervane“, „Saboteurs“, „The Ditch“). Dass ihm das Publikumsaufkommen zwischenzeitlich zu mager erschien, hätte der einstige THE LOVED ONES-Frontmann aus Gründen der Sympathie vielleicht besser für sich behalten, an der Darbietung des emsigen Vollblut-Musikers und seiner Mitstreiter gab es grundlegend aber nichts zu meckern.
Höchstens, dass die Gemütsschwere seiner Songs zwischen den Party-Krachern MASKED INTRUDER und LESS THAN JAKE zwangsläufig ins Hintertreffen geraten würde. Die Meute feierte Beiträge wie „C’mon Kid“ trotzdem zünftig ab. Kein Highlight, aber stimmungsvolles Kontrastprogramm.
19:20 Uhr, River Stage
Für DIE Party des Wochenendes sorgten noch vor MASKED INTRUDER die Ska-Punks von LESS THAN JAKE. Was Roger Lima & Co., umspielt von amüsanten Nonsens-Ansagen, an Bühnentauchern (wie im Vorjahr in Teilen wieder bemerkenswert jung), Circle Pits und Tanzgeschwadern forcierten, suchte an diesem Wochenende wahrlich seinesgleichen.
Das zu einem Gutteil aus bewährten Klassikern wie „Magnetic North“, „Automatic“, „History of a Boring Town“, „Look What Happened“, „All My Friends Are Metalheads“, „Johnny Quest Thinks We’re Sellouts“ oder „Gainesville Rock City“ zusammengestellte Set sorgte für blendende Laune. Für Feingeister war die Performance der US-Ostküstler eher nicht geeignet, eine Bereicherung für jedes Festival sind die Evergreens aber auch nach bald drei Jahrzehnten ihres Bestehens noch.
Manchen Besuchern war im Anschluss an das Konzert allerdings gar nicht mehr zum Lachen zumute: In den sozialen Netzwerken hatte es sich bereits angekündigt: GOOD RIDDANCE und PULLEY saßen aufgrund eines ausgefallenen Fluges in Spanien fest und mussten ihre Teilnahme kurzfristig absagen. Dass der bedauernswerte Gesandte, der die traurige Kunde auf der Bühne in zugegeben wenig wohl gewählten Worten verbreitete, mit vereinzelten Schimpftiraden und sogar einer Bierdusche bedacht wurde, zeugte allerdings nicht gerade von guter Kinderstube.
Immerhin bemühten sich die Organisatoren um schnellen Ersatz. Joe McMahon trat kurzerhand mit seinen BUCKANEERS auf der Ruin Stage auf, wodurch POISON IDEA auf die River Stage rutschten. Zusätzlich konnten die Lokalmatadore THE PRICEDUIFKES mobilisiert werden. Ein fader Beigeschmack blieb. Aber die Show musste weitergehen.
20:20 Uhr, Wood Stage
Für wohlige Egalisierung sorgten zunächst TEENAGE BOTTLEROCKET, deren treibenden – und einmal mehr zünftig abgefeierten – Pop-Punk’n’Roll das Brakrock bereits häufiger zu bieten hatte. Entsprechend heimisch dürfte sich der Vierer aus Wyoming gefühlt haben.
Das Set setzte auf Knaller in Serie, darunter „Skate or Die“, „Don’t Want to Go“, „Bigger Than Kiss“, „They Call Me Steve“, „The First Time That I Did Acid Was the Last Time That I Did Acid“, „I Wanna Be a Dog“ und „Blood Bath at Burger King“. Bei „Everything to Me“ ließ Sänger Ray Carlisle überdies seinen Sohn von der Bühne ins Publikum springen. Im Gegensatz zu manch anderem wurde dieser zumindest sicher gefangen. Ein Auftritt mit Spaßgarantie!
21:10 Uhr, River Stage
Der Einfluss von POISON IDEA auf eine Vielzahl von Bands und Künstlern ist unbestritten. Daher war die „Hochstufung“ auf die Hauptbühne im Timeslot von GOOD RIDDANCE auch eine begrüßenswerte Entscheidung.
Die Hardcore-Punks dankten es mit einer – gemessen am Alter der Beteiligten – energetischen Performance, bei der Smasher wie „Cop An Attitude“, „The Badge“, „Punish Me“, „God Not God“ oder „Plastic Bomb“ nicht fehlen durften. Die Veteranen genossen die gesteigerte Aufmerksamkeit spürbar und stießen auf ein Publikum, dass, egal ob kundig oder nicht, munter mitging. Unzufrieden blieb auch hier niemand zurück.
22:10 Uhr, Wood Stage
Aus ihrem Ersatzbank-Status machten THE PRICEDUIFKES keinen Hehl. Der Anteilnahme des Publikums, zumindest der angestammten Anhängerschaft, konnten sie sich aber gewiss sein. Entsprechend heftig wurden die Ortsansässigen Punk-Rocker abgefeiert.
Die muntere Darbietung konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass an dieser Stelle eigentlich andere, merklich freudiger erwartete Musiker, hätten agieren sollen. Der tadellose Auftritt hinterließ so einen nicht unerheblichen Beigeschmack.
23:05 Uhr, River Stage
Über mehr Headliner-Format als die DESCENDENTS kann eine Band auf einem Festival dieser Größenordnung kaum verfügen. Angepasst frenetisch wurden die sympathischen Punk-Urgesteine um ihren intellektuellen Sänger Milo Aukerman von den Fans empfangen. Die Stimmung war vom Fleck weg prächtig und der mit tragbarem Sauerstofftank versehene Milo bot stimmlich die Basis für ein durchweg mitreißendes Konzerterlebnis.
Das Set umspannte mehr als zwei Dutzend Hits aus allen Schaffensperioden, darunter „Everything Sux“, „Hope“, „Rotting Out“, „Silly Girl“, „I Like Food“, „I’m the One“, „Testosterone“, „Clean Sheets“, „I Don’t Want to Grow Up“, „Coffee Mug“, „Bikeage“, „When I Get Old“, „Coolidge“ und „Thank You“. Der Pulk war aus dem Häuschen, die Band agierte munter, spielfreudig und publikumsnah wie eh und je. An den DESCENDENTS werden wir hoffentlich noch lange Freude haben!
00.10 Uhr, Wood Stage
Zu guter Letzt: LAGWAGON-Frontmann Joey Cape. Allein auf der Bühne, mit Akustik-Gitarre und Songs, u. a. von seinem jüngsten Solo-Streich „Let Me Know When You Give Up“ (neben anderen vertreten: „Before My Heart Attack“ und „I Know How to Run“). Während sich auf dem Festival-Gelände Aufbruchstimmung breitmachte, zog der kumpelhafte Barde mit unaufgeregten Klängen diejenigen vor die Stage, die es zu vorgerückter Stunde nach mehr verlangte.
Auf dem Programm standen, neben kompletten Eigenkompositionen, reduzierte LAGWAGON-Klassiker wie „Alien 8“ und „Violins“. Auch dem unvergessenen Tony Sly wurde mit dem NO USE FOR A NAME-Evergreen „International You Day“ Tribut gezollt. Spektakulär war der letzte Auftritt des Brakrock 2019 mitnichten. Gerade als gelassener Rausschmeißer erfüllte der ein wenig in sich gekehrt wirkende Cape aber einen mehr als willkommenen Zweck.
In diesem Sinne: Bis zum nächsten Mal, Brakrock Ecofest!