Italo-Western mit Anspruch sind rar gesät. Stilistisch über jeden Zweifel erhaben sind die opernhaften Werke Sergio Leones („Spiel mir das Lied vom Tod“), der bis heute Aushängeschild des Genres ist. Aber seine Klasse blieb stets die Ausnahme und überstrahlte die kaum zu überblickende Vielzahl meist billig heruntergekurbelter Euro-Beiträge beträchtlich. Und doch ist er (natürlich) nicht der Einzige zu nennende Meister seines Fachs, dem es gelang aus den vorgegebenen Mustern amerikanischer Pferdeopern auszubrechen und die ambivalent variierten Motive politisch aufzuladen.
Noch vor Sergio Corbucci („Leichen pflastern seinen Weg“) ist Sergio Sollima zu nennen, dessen mit „Der Gehetzte der Sierra Madre“ (1966) eingeleitete Trilogie intellektuelle Polit-Reflektionen und tiefgründige Charakterstudien verbindet. Bevor er die Reihe mit „Lauf um dein Leben“ 1968 abschloss, schuf der Filmemacher mit „Von Angesicht zu Angesicht“ eine faszinierende Parabel über Macht und Gewalt. Neben Tomás Milián, der in den beiden anderen Western Sollimas die Rolle des schlitzohrigen Gauners Cuchillo spielte, besetzte er Gian Maria Volonté, der in Leones „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) und „Für ein par Dollar mehr“ (1966) als Gegenspieler Clint Eastwoods auftrat.
Volonté spielt den lungenkranken Professor Brad Fletcher, der aufgrund seines Gesundheitszustandes in ein texanisches Sanatorium geschickt wird. Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und die zurückhaltende Art standen größeren Karrieresprüngen stets im Wege. Doch sein Bild von Welt und Menschen wandelt sich radikal, als er die Bekanntschaft des gefürchteten Banditen Solomon ´Beauregard´ Bennet (Milián) macht. Fletcher verhilft dem Outlaw erst unfreiwillig zur Flucht und rettet ihm in der Wüste anschließend das Leben. Daraufhin nimmt ihn Bennet mit und gemeinsam trommeln sie dessen zerstreute Wilde Horde (u.a. Genre-Veteran Nello Pazzafini, „Adios Gringo“) zusammen.
Zu ihnen stößt auch Revolvermann Siringo (William Berger, „Sabata“), der in Wahrheit aber Ermittler der Pinkerton-Detektei ist. Um Bennet das Handwerk zu legen und die Bande zu zerschlagen, geht er skrupellos über Leichen. Sein Gewissen regt sich erst, als die Armee die Bergsiedlung, in der sich Bennets Gefolgschaft mit vogelfreien Frauen und Kindern versteckt, brutal auflösen will. Hauptaugenmerk legt Sollima allerdings auf die Wandlung Fletchers, der von der Gewalt und erst recht der Macht durch den Colt in der Hand fasziniert ist. Mehr und mehr lässt er den aufrechten Duckmäuser hinter sich und wird selbst zum kühl berechnenden Gesetzlosen. Als Bennet gefasst wird, reißt er das Kommando der Wilden Horde an sich.
Das von Sollima mit Sergio Donati („Todesmelodie“) verfasste Drehbuch zeigt psychologisch überraschend glaubhaft die Entwicklung vom Intellektuellen zum Verbrecher. Vor allem Fletchers Verständnis von Gerechtigkeit wird mit gestärkter Machtposition auf den Kopf gestellt. Das mit dosiertem Kugelhagel versehene Charakter-Drama besticht neben sehenswerten Darstellerleistungen auch durch die Kompositionen von Leone-Stammkomponist Ennio Morricone, der schier manisch Gitarre, Trommeln und Orgel mischt. Aus der Masse hundertfacher Genrebeiträge ragt „Von Angesicht zu Angesicht“ weit heraus. Zu vernachlässigen ist da, dass Sollimas andere Italo-Western insgesamt trotzdem ein Stück packender geraten sind.
Äußerst empfehlenswert geraten ist auch die DVD-Veröffentlichung von Explosive Media, die den Film ungekürzt in deutscher, englischer und italienischer Sprachfassung präsentiert. Neben einem 24-seitigen Booklet zum Werk Morricones bietet die Zusatz-Disc eine Dokumentation über Sollima und Milián, diverse Trailer und Vorspänne, Fotogalerien und rare Plakatgestaltungen sowie die Super-8-Fassung, Soundtrack-Spuren und historische Hintergrundinformationen. Eine dem Klassiker vollauf angemessene Veröffentlichung.
Wertung: (7,5 / 10)