Interview mit Minus Youth (Oktober 2019)

Stellt MINUS YOUTH und die dahinterstehenden Individuen doch einleitend kurz vor.

Dom: MINUS YOUTH ist eine Stuttgarter Hardcore-Band, mit einer Handvoll Leuten, die zuvor bereits in anderen Bands aktiv waren:

Denis (Vocals, ex-LION CITY), Stefan (Bass, ex-NAMETAKER), Christoph (Drums, ex-NO END IN SIGHT), Tobias (Gitarre) und meine Wenigkeit: Dominik (Gitarre, ex-NO END IN SIGHT, ex-LION CITY, ex-PESSIMISTIC LINES).

Wir haben uns Ende 2016 gegründet, gleich zu Beginn eine Demo rausgehauen und anschließend zahlreiche Weekenders und bereits zwei Touren gespielt.

Mit „No Generation“ stellt ihr dieser Tage euer Debütalbum vor. Was könnt ihr über die Entstehungsgeschichte der Platte erzählen?

Denis: Nach einer 4-Track-Demo und einer Split mit zwei Songs zur Vorspeise war es Zeit für den ersten Hauptgang. Und da es uns am wichtigsten ist, so viel wie nur möglich live zu spielen, haben wir Futter gebraucht. Wir haben ein Jahr lang an diesem Release gearbeitet und eine Menge Liebe, Wut und Blut reingestopft. Das Album ist für uns ein gleichermaßen emotionaler als auch politischer Aufstand. Der erhobene Mittelfinger gegen Regeln und Normen.

Lustigerweise war der Entstehungsprozess ebenfalls ein kleiner Kampf für uns. Jedes Bandmitglied musste irgendwann mal aus seiner Komfortzone raus, neue Dinge ausprobieren oder seine musikalischen Gewohnheiten überdenken. Es wurde sich gegenseitig motiviert und in den Arsch getreten. Viel harte Arbeit für etwas, was eigentlich „nur“ ein ambitioniertes Hobby ist.

Im Gegensatz zu vielen anderen gegenwärtigen Hardcore-Combos rückt ihr den Metal-Anteil nicht ins Zentrum, sondern betrachtet ihn, neben Punk und Rock, als eine Facette eures Sounds. Wie sehr ist eure Musik damit Ausdruck der unterschiedlichen Präferenzen der einzelnen Bandmitglieder?

Denis: Nice, wie eure Fragen so gut gestellt sind, dass sie schon die Antwort enthalten.

Die kurze Antwort ist: sehr.

In der längeren Antwort würde ich erklären, wie wichtig es uns ist, lieber unsere Aussage und die individuellen Persönlichkeiten in kontrastreichen Songs zu präsentieren, statt Hardcore nach Maß und Regelwerk zu bauen. Aber wer mag schon zu lange Antworten?!

Von welchen Bands und Künstlern seht ihr euch generell am stärksten beeinflusst?

Denis: Künstler finde ich ein gutes Stichwort. Ich lass mich in erster Linie von einer Idee inspirieren, bevor ich rechts und links nach anderen Bands schaue. Das passiert natürlich auch, aber zu einem späteren Zeitpunkt.

Ich gehe Songs gerne an, wie ich ein Artwork gestalten würde. Der Song muss als Bild geil aussehen und Details haben, die man erst beim zweiten hinschauen sieht. Ab und an inspiriert mich die Wut auf unfassbar talentierte Produzenten wie Will Yip oder Will Putney. Da spricht etwas der gesunde Neid aus mir.

Aber hier mal eine Liste an Bands, die ich während des Schreibens am Album viel gehört habe: ROTTING OUT, BACKTRACK, CEREMONY, ALICE IN CHAINS, ORTHODOX, PANIC! AT THE DISCO.

Um die meisten Aspekte des Band-Daseins kümmert ihr euch eigenverantwortlich. Welchen Stellenwert nimmt das DIY-Credo bei euch ein?

Dom: Die Band lebt vom DIY. Angefangen bei den Designs, die größtenteils Denis zaubert, bis hin zu drei selbst gebookten Touren. Unsere Demos haben wir zum Teil noch selbst gebrannt.

Wir hatten aber das Glück, dass Jan und Hagen von DRASTIC ACTIONS die Songs auf Tape überspielt haben. Ein undankbarer Job, haha. Aber super Typen! Natürlich schreiben wir auch unsere Songs selbst. Ich glaube sogar, dass wir sie auch selbst spielen.

Es erscheint schwer vorstellbar, dass bislang noch kein Label bei euch angeklopft hat. Wie erstrebenswert erscheint euch die Kooperation mit einem etwaigen Vertriebspartner?

Dom: Wir haben einige Labels angehauen, gleich als die ersten Mixes aus dem Studio kamen. Das ein oder andere Label hat Interesse geäußert. Wir haben uns dann dennoch für ein DIY-Release entschieden, weil es einfach zu uns passt und wir die Fäden in der Hand haben wollen.

Die Platte läuft gut an. Ein Drittel der LPs ist schon weg. Jetzt folgen passend zum Tourstart die CDs. Sollten wir ein Re-Release der LP ansteuern, wäre hier natürlich ein europaweiter Deal der nächste große Schritt.

Aber zurück zu „No Generation“: Im Titeltrack geht ihr kritisch mit abschottender Szene-Attitüde um. Befasst sich der Hardcore nach eurer Auffassung zu sehr mit platter „Wir-gegen-die“-Polemik?

Denis: Wenn man mal ehrlich ist, kritisieren wir eher die „Wir-gegen-uns“-Haltung. Die Szene hat sich in ihrer facettenreichen Entwicklung auch eine selbstzerstörerische Dramaturgie anerzogen. Da schließen wir uns nicht aus. Gern wird mal mit dem Finger auf andere gezeigt. „No Generation“ ist die Erinnerung daran, dass man selbst irgendwann mal „the new kid in the scene“ war.

So individuell wie die Gründe, weshalb man selbst „hardcore“ ist, so open-minded sollte man auch gegenüber anderen sein. Denn es gibt überall Neues und dieses Neue ist genauso wertvoll wie das Altbewährte. „You’re just pointing fingers, while we are screaming the new songs.“

Mit welchen Themen setzt ihr euch in euren Texten daneben noch auseinander?

Dom: Wir setzen uns mit einem breiten Spektrum an Themen auseinander. Wobei es zumeist Dinge sind, die Denis auf der Seele brennen. „Blue Light“ ist ein Song, der den Umgang mit sozialen Medien in Kombination mit extremem Suchtverhalten kritisiert. In „Nothing“ rechnet Denis mit Menschen ab, die andere Menschen aufgrund ihres Namens, ihrer Herkunft oder ihres Aussehens vorverurteilen, ohne sich ein eigenes Bild des Charakters hinter der Person zu machen.

Die Lyrics von „Homeaway“ kommen zum Großteil von mir und stellen einen Leitfaden zum Ausbruch aus einer Gesellschaft dar, in der Geld regiert und sich das Leben nur darum dreht, immer schneller, höher und weiter zu kommen. Es geht darum, die Reißleine zu ziehen und sich auf die Menschen zu fokussieren, die einem am wichtigsten sind und mit diesen Menschen eigene Geschichten zu schreiben.

Beim Song „Downtown in Distress“ schlägt der Gesang (mit Unterstützung von EMPOWERMENT-Shouter Jogges) zum Ende hin vom Englischen ins Deutsche um. Gibt es eine bestimmte Message hinter diesem zweifelsfrei prägnanten Kniff?

Denis: Auch in dieser Frage schwingt die Antwort schon mit. Der Song spricht für alle, die vor sich selbst und dem Ort, mit den Menschen, die einem wichtig sind, abhauen wollen. Jogges übernimmt das Gegengewicht auf dieser Heimathafen-Waage. Da wir ganz persönlich von Stuttgart in diesem Track sprechen, gibt es keinen besseren als ihn, um meinem Frust eine alternative Ansicht zu geben. Ohne seine gesungene Ohrfeige hätte der Song keine Daseinsberechtigung.

Dom: Eine ganz schöne Kontroverse zu „Homeaway“. Ist das etwa Zufall?

Wie waren die bisherigen Resonanzen auf „No Generation“?

Dom: Wir haben bisher ausschließlich positives Feedback bekommen. Unfassbar, aber schön! Wir freuen uns dennoch auf kritische Auseinandersetzungen zu unserem Werk. Wir wollen ja auch wissen, was wir beim nächsten mal besser machen müssen.

Ende Oktober begebt ihr euch auf die wohlverdiente Release-Tour zur Platte. Wie sehr juckt es euch schon jetzt in den Fingern, „No Generation“ vor Publikum zu präsentieren?

Dom: Ich halt es kaum noch aus. Es war unglaublich befreiend, die Vorbestellungen Anfang Oktober zu versenden. In diesem Album steckt so viel Liebe. Es ist verdammt noch mal Zeit, dass das Teil für alle verfügbar ist und wir die Songs auch live zum Besten geben können.

Welche Emotionen überkommen euch, wenn eine Partei wie die AfD in ostdeutschen Bundesländern in der Spitze rund ein Drittel der Wählerstimmen einheimst?

Dom: Die Zunahme der Stimmen für die AfD ist mitnichten nur ein „ostdeutsches Problem“. Mich nervt das ziemlich, dass das schnell einfach „den Ossis“ in die Schuhe geschoben wird. Rechte Strukturen gibt es überall im Land und die AfD ist überall präsent. Die Gesellschaft wird gespalten durch ein versagendes System und eine unfähige Politik.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft mehr und mehr. Ein gefundenes Fressen für eine AfD, um gegen die Schwächsten der Schwachen in unserer Gesellschaft vorzugehen, Neid, Wut und Hass zu schüren und damit Feindbilder zu erzeugen.

Was beim Ost-West-Vergleich dabei oft vernachlässigt wird ist, dass es in den neuen Bundesländern meist eine aktive und intakte Antifa-Bewegung gibt. Menschen, die sich gerade machen gegen AfD, Pegida (gibt’s die eigentlich noch?), Identitäre und was sich sonst noch so im braunen Sumpf tummelt.

Abseits der anstehenden Tour, was sind eure Pläne für die nahe Zukunft?

Dom: Wir planen bereits mit einer Tour im April 2020 die nächste Live-Offensive. Dieses Mal geht es zwei Wochen durch Europa mit unseren Freunden von 210 aus Moskau.

Und auch die letzten Worte gebühren euch:

Dom: Vielen Dank für das Interview. Super Fragen und immer starke Beiträge. Ihr macht einen guten Job! Wir hoffen, wir sehen uns bei einer der anstehenden Shows:

25/10 – Stuttgart, Juha West                          

26/10 – Ummerstadt, Tolerance Festival

27/10 – Gotha, J.U.W.E.L. e.V.                                

28/10 – Berlin, Musik & Frieden

29/10 – Rathenow, Café Handgemenge

30/10 – Göttingen, Freihafen

31/10 – Dortmund, Herr Walter

01/11 – Hamburg, Gängeviertel

02/11 – Magdeburg, Knast

13/12 – Kreuzlingen (CH), Horst Club

14/12 – Rottweil, Parkhaus

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