Die Meinungen darüber, wie lange ein gutes Konzert zu dauern hat, gehen mitunter stark auseinander. Gewohnt ist das Publikum Darbietungen von etwa einer Stunde. Im (klassischen) Hardcore eine bisweilen fast schon utopische Marke. Die Stilform der geschrienen Vocals und rüden Melodien mag es naturgemäß kürzer. Den in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnenen Post-Hardcore schließt das mit ein. Dass DEFEATER und Vorbands den ihnen zugedachten Zeitplan in der Kölner Essigfabrik deutlich unterboten, störte eigentlich niemanden. Warum auch? Die gut 50-minütige Show der Bostoner war ein echtes Highlight und dürfte den Anwesenden wie auch der Band angenehm im Gedächtnis bleiben!
Den frühen Beginn markierten DULL EYES aus Düsseldorf. Allerdings genügen die vernommenen letzten Momente ihres Auftritts nicht für ein umfassendes Urteil. Es folgten THE TIDAL SLEEP, deren im Frühjahr veröffentlichtes selbstbetiteltes Debüt beweist, dass ansprechender Post-Hardcore nicht allein amerikanisches Hoheitsgebiet ist. Mit Stücken wie „Serpent Hug“ zeigten die Jungs aus Karlsruhe und Mannheim, dass mit ihnen in der Zukunft zu rechnen ist. Die Klangqualität war zwar nicht sonderlich berauschend, das rund halbstündige Gastspiel aber machte durchaus Lust auf mehr.
Viel Zeit ließen sich die CODE ORANGE KIDS im Anschluss nicht. Der junge Vierer aus Pennsylvania, zum ersten Mal in Übersee unterwegs, brach aus gewohnten Sphären aus und servierte chaotische Klangschnipsel zwischen verschiedenen Ausrichtungen des Hardcore. Der auch schreiende Drummer ging dabei ab wie das Tier aus der „Muppet Show“, die ihn am Mikro unterstützende Gitarristin schien die disharmonischen Klänge geradewegs aus ihrer Klampfe prügeln zu wollen. Die Performance war durchaus ansprechend, aber auch etwas unausgewogen und letztlich mit mehr Geste als Musik unterfüttert.
Die FORMER THIEVES verdeutlichten schließlich die Misere des gesamten Vorprogramms, respektive den doch wenig begeisternden Sound und das recht geringe Interesse des Publikums. Bei der Band aus Iowa war der ohnehin nicht zwingend einladend wirkende Raum der Essigfabrik nur noch sporadisch gefüllt. DEFEATER werden geschätzt 300 Zuschauer verfolgt (eher abgefeiert) haben, aber beim musikalischen Vorlauf war der Zuspruch doch eher gering. Vielleicht war auch das ein Grund für den frühen Ausklang des Abends. Den FORMER THIEVES war dabei kein Vorwurf zu machen, ihr Post-Hardcore mit Dauergeplärre überzeugte, ohne aber wirklich vom Hocker zu reißen.
Atmosphäre, bis dahin nicht eben charakteristische Stärke der Veranstaltung, kam erst mit DEFEATER auf. Bei einem Beginn mit „The Red, White and Blues“ und „Dear Father“ bleiben aber sowieso erst einmal keine Fragen offen. Meist spielen die Bostoner in kleineren Clubs. Aber auch die (etwas) größere Bühne füllten sie mit beeindruckender Präsenz. Von der Qualität ihrer Musik ganz zu Schweigen. Vom Fleck weg war auch der Pulk auf Touren, intonierte die Songs leidenschaftlich mit und warf sich in reger Folge von der Bühne. Ein Nachlassen des späten Erwachens war bei „Blessed Burden“, „Waves Clash, Clouds Roll“, „Empty Glass“ oder „Cowardice“ auch nicht zu erwarten.
Ein Highlight war wieder der Bruch im Set, bei dem sich Frontmann Derek Archambault die (E-)Akustikgitarre umschnallte und den traurigen Liedermacher gab. „But Breathing“, bei dem der Rest der Band mitreißende instrumentale Unterstützung leistete, wurde so einmal mehr zum echten Erlebnis. Auch wenn DEFEATER die Intimität der kleineren Locations – nicht zuletzt aufgrund des überraschend geringen Publikumsaufkommens – noch immer besser steht, blieb ihr Auftritt begeisternd. Zumal, anders als in der Vergangenheit, auch der Raumklang auf ihrer Seite stand. Zu kurz kamen also nur die Vorbands. Aber die wurden immerhin von Archambault ausreichend gewürdigt!
Das Handyfoto steuerte Ivo H. bei.