Interview mit Die Kassierer (Februar 2004)

Erst einmal Glückwunsch zur Volljährigkeit! Wie fühlt man sich mit 18 Jahren Bandgeschichte auf dem Buckel?

Mitch Maestro: Steinalt und verbraucht. Ach Quatsch, jung und quietschfidel. Such dir eine Antwort aus.

Reicht das Dasein als unabhängige Musiker aus, um die finanziellen Hürden des Lebens zu nehmen?

Mitch Maestro: Wenn wir das verdiente Geld aufeinanderstapeln, entsteht ein Haufen, welcher von der Erde zum Mond reicht. Beantwortet das die Frage?

Ihr geltet gemeinhin als asoziale Rockband, was in Anbetracht des Kontextes mitunter als schicke Attitüde ausgelegt werden dürfte. Doch wer steckt eigentlich hinter den mächtigen KASSIERERN?

Mitch Maestro: Wir haben alle einen soliden asozialen Hintergrund, haben zwischendurch intensive Psychotherapie durchlaufen und durften umfangreiche Lebenserfahrungen in nuancierten Kontexten sammeln und mimen die Asozialen mittlerweile nur noch, was uns aber erstaunlich leicht fällt.

War die Therapie am Ende nicht erfolgreich, du Arschgesicht?

Wie gehen Eure Familien mit den Ergebnissen eurer künstlerischen Entfaltung um?

Mitch Maestro: Unsere Familien haben mit uns gebrochen. Muttern steckt uns manchmal heimlich Geld zu, aber Vati soll’s nicht wissen. Ach so, all unsere Väter sind ja schon tot…

Wenn ihr über eure Anfänge sinniert, was gab den Ausschlag für die Gründung einer Band wie der euren?

Mitch Maestro: Die Freude am herzhaften Lachen. Wir haben früher gedacht, es wären alle so wie wir. Das hat sich aber erst im Laufe der Zeit so ergeben, insofern waren wir dem Zeitgeist meilenweit voraus bzw. haben diesem auf die Sprünge geholfen.

Inhaltlich bewegt ihr euch beinahe ausschließlich in der Grauzone des Geschmacklosen. Ist die Intention der KASSIERER, die Gesellschaft durch ironische Übersteigerungen diverser Tabuthemen zu schockieren?

Mitch Maestro: Ein bisschen wachrütteln kann ja nicht schaden bei all der Dekadenz, die uns umgibt. Darüberhinaus finden wir Auswüchse wie „Dschungelcamp“ weitaus geschmackloser und auch gefährlich, da gezielt volksverdummend. Merkt aber keiner mehr.

Wie wichtig ist es euch, als Künstler ernstgenommen zu werden? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr einzig auf den Dunstkreis nonkonformer Elemente reduziert werden wollt.

Mitch Maestro: Es wäre ja schon schön, wenn sich manche Leute, v. a. Journalisten, unsere Platten von A-Z anhören würden, um dann den Liebreiz der komplexen Gesamtkomposition festzustellen. Oder muss man euch das denn alles auch noch selber erklären?

Woher nehmt ihr die Inspirationen zu Euren Texten? Ihr werdet wohl kaum den lieben langen Tag euer Gehirnvolumen am Tresen vergrößern und Sexualpraktiken in Pornokinos studieren.

Mitch Maestro: Also Pornos sind eine große Quelle der Inspiration, vor allem die Dialoge. Da gibt es haufenweise Absurditäten von literarischer Qualität. Im Grunde geht es um die Vermengung von höchst unterschiedlichen Komponenten wie Aliens, fremden Dimensionen, Ficken, Saufen.

Dies alles auf eine Weise, die den geneigten Zuhörer überrascht. Dazu ist unbedingt das Reimlexikon von Reclam notwendig, um auf Reime zu kommen wie „scheißegal – aschfahl“. Den haben wir übrigens noch nicht verwendet.

Kommen wir zu eurem nunmehr siebten Album, „Männer, Bomben, Satelliten“. Auffällig erscheint auf Anhieb die noch breitgefächerte musikalische Vielfalt. Woher nehmt ihr die Inspirationen für die übermütigen Integrationen von Stilgattungen wie Chanson, Schlager, Folklore und Polka?

Mitch Maestro: Wir haben ja bei den Kassieren nur einen Urpunk, das ist der Niko. Die anderen haben andere musikalische Vorlieben wie 20er-Jahre Chansons, Jazz von Django Reinhard und Deep Purple.

Gut, diese Namen sprechen auch schon für das Alter der Bandmitglieder. Auf jeden Fall haben wir eine CD mit Musik gemacht, wie wir sie selber gerne hören würden.

Darüber hinaus stehen euch die erhöhten Anteile an Bläserelementen gut zu Gesicht, während selbst die weiblichen Hintergrundgesänge auf diesem Album mehr geträllert als gekotzt erscheinen. Wolltet ihr diesmal bewusst aus dem Schatten vorangegangener Produktionen heraustreten?

Mitch Maestro: In aller Bescheidenheit, ist das eben der Qualitätspunkrock, der uns auszeichnet. Auch früher gab es schon bombastische Arrangements, z. B. „Jenseitszeppelin“ auf „Habe Brille“, was wir zusammen mit der Big Band der Ruhruni Bochum aufgenommen haben. Hat aber wohl keiner mitgekriegt und wir bekamen Anfragen, was denn das seltsame Karaokestück soll.

Nebenbei bemerkt: Ein einzig aus Räuspern bestehendes Stück wie „Kuckuck!“ nimmt man wohl auch nur den KASSIERERN ab, oder?

Mitch Maestro: Hm, Hm, Hmhmhm, Hmmmmmhmmmhmmmhm.

Wie kommt es, dass fußballentgeisterte Zeitgenossen wie Ihr plötzlich mit „Kommste mit ins Stadion“ eine Ode an die kollektive Ballsportbegeisterung zum Besten geben?

Mitch Maestro: Eine unverzeihliche Entgleisung. Wie konnte das passieren?

Man muss zugeben, dass „How Does It Feel?“ eine prächtige Wie groteske Aufarbeitung der Themata Einsamkeit und Entfremdung darstellt. Glaubt ihr, dass der typische KASSIERER-Hörer bemüht ist, auch zwischen den Zeilen zu lesen?

Mitch Maestro: Die Frage lautet: Wer ist der typische Kassierer-Hörer?

„Meister aller Fotzen“ scheint offenkundig ein Seitenhieb auf RAMMSTEIN zu sein. Kann man Formationen wie diese eigentlich ernst nehmen, oder erübrigen sich Fragen wie diese in Anbetracht der fadenscheinigen Inhalte?

Mitch Maestro: Möge Meister aller Fotzen ein Beitrag zur Enternstung von Rammstein sein!

Wie kommt es eigentlich, dass andere heimische Bands arge Probleme mit der Zensur bekommen, sobald sie über den Geschlechtsakt zwischen Hund und Frauchen singen, sich eure Werke jedoch allesamt frei von jeglichen Siegeln der Bundesprüfstelle präsentieren? Musste in der Vergangenheit nicht so manch bürokratischer Drache erschlagen werden, um die freie Zugänglichkeit eures Liedgutes zu garantieren?

Mitch Maestro: Es musste kein Drache erschlagen werden, der Drache wurde vielmehr durch sanfte Kassiererklänge gezähmt. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wer sich heutzutage noch über unsere Texte aufregen soll. Ein Blick in die Realsatire unserer Alltagswelt reicht doch völlig aus, um festzustellen: eigentlich müsste 90% unserer Fernsehsendungen verboten werden. Da das aber keiner ernsthaft will, warum sollte man da ein paar Musikanten mit Verboten drangsalieren?

Auf vielen eurer Veröffentlichungen lasst ihr euch über Personen des öffentlichen Lebens aus, seien es Kristiane Backer, aktuell Rudi Carrell oder auch der Polizeipräsident der Stadt Bochum. Mit wie vielen Anzeigen musstet ihr euch deshalb bislang herumschlagen?

Mitch Maestro: Wir lassen uns ja gar nicht aus, das Lied über Herrn Carrell ist rein instrumental…

Herr Wenner, Polizeipräsident von Bochum, hat sich das Lied gemeinsam mit uns vor laufender Kamera in seinem Büro angehört und meinte, dass ihm die Musik nicht gefällt.

Wer zeichnet sich für das schmucke Artwork von „Männer, Bomben, Satelliten“ verantwortlich?

Mitch Maestro: Coverzeichnung: Jamiri, bekannter Künstler aus Essen, der für Marabo und Spiegel-Online zeichnet. Gelayoutet hat das alles unser Freund Jeschke von Dirty Faces.

Wie charakterisiert sich euer Bild der Presse? Positive Resonanzen dürften im Schaffen der KASSIERER doch eher Seltenheit haben. Ist diese mitunter erforderliche Öffentlichkeitsarbeit demnach für Euch lediglich eine Art Spiel?

Mitch Maestro: Hier möchte ich die Kothaufen-Theorie zum Besten geben. Man kann die Kassierer mit einem herrlichen Büffet voller köstlicher Speisen vergleichen. Leider, leider ist in der Ecke dieses Büffets ein Haufen Scheiße plaziert.

Und alle Welt sieht nun nicht mehr das perfekte Arrangement der Speisen, sondern nur noch die Scheiße und schreit angewidert: “Puuh, das stinkt ja.“ Und so sieht uns die Welt als Kothaufen. Im Grunde sind die Kassierer ein von langer Hand angelegter Intelligenztest für die Menschheit.

Die Vorabpromotion zu „Männer, Bomben, Satelliten“ dürfte in Eurem bisherigen Werdegang die Grenzen des gewohnten sprengen, immerhin gab es selbst in der Visions einen Artikel über euch zu lesen! Seht ihr diese plötzliche Aufmerksamkeit als notwendiges Übel an oder als Schönheit der Chance?

Mitch Maestro: Was soll die Frage, wir gehören längst auf die Titelseite von Stern, Spiegel und Newsweek!

Habt ihr euch durch manch „unchristlichen“ Inhalt eigentlich den Unmut der Kirche zugezogen?

Mitch Maestro: Pfarrer hören keine CDs, die sind die ganze Zeit mit Singen und Beten beschäftigt.

Seit Menschengedenken arbeitet ihr mit dem Düsseldorfer Label Teenage Rebel Records zusammen. Ist es die zwanglose Entscheidungsfreiheit, die euch auf diesem vertrauten Terrain weiterwandeln lässt?

Mitch Maestro: Der Rüdiger von Teenage Rebel redet halt nicht viel, was sehr entspannend ist. Wer will sich schon von irgendwelchen Schnöseln aus der Plattenindustrie einen Knopf an die Backe labern lassen?

Volker soll ja ein begnadeter Jazzgitarrist sein. Gibt es ambitionierte Nebenprojekte zu den KASSIERERN, die über den schöpferischen Tellerrand der „Stinkmösenpolka“ und dem „Blumenkohl am Pillemann“ hinausreichen?

Mitch Maestro: Volker hat eine Band namens Douce Ambience, die von Leuten, die des Französischen nicht mächtig sind, auch als Duschlabusch bezeichnet werden.

Eigentlich steht er auf jauligen Zigeunerjazz der 20er Jahre. Er ist ein renommierter Gitarrenlehrer, der seinen 15-jährigen Schülern ständig Autogramme geben muss, wenn sie von seiner Tätigkeit als Schlagzeuger bei uns hören.

DIE KASSIERER sind eine leidenschaftliche Liveband. Wie bewertet ihr euer Publikum?

Mitch Maestro: Die Konzerte sind ja eher so was wie Happenings. Die wurden von Hippies erfunden, wobei das Publikum genauso wichtig war wie die Künstler selbst. Es ist immer wieder schön, wenn das Publikum sich zum Affen macht, denn das spornt uns an, noch einen draufzusetzen.

Unvergessen das Konzert in Ulm, wo jemand ins Mikro sagte: „Entledigt euch eurer gammeligen Kleidung“, was dann auch 30 Leute spontan taten. Bitte mehr davon.

Wie ist Eure Meinung zu artverwandten Bands wie den LOKALMATADOREN oder EISENPIMMEL?

Mitch Maestro: Ich steh ja eher auf Deep Purple.

Welche Ziele verfolgen gestandene Vollblutmusiker wie ihr noch im Leben?

Mitch Maestro: Wir hätten gerne alle das Bundesverdienstkreuz.

Was wird den KASSIERERN das Jahr 2004 bescheren?

Mitch Maestro: Ich möchte hier Walt Disney zitieren (um 1950): „I see someting in the distance. It‘s big and it’s shiny.“

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