Der blasse Junge ist wieder auf Tour. Und mit ihm das Rundfunk-Tanzorchester. Dabei präsentiert sich Entertainer und Polit-Provokateur Jan Böhmermann auf der Bühne der „Ehrenfeld Intergalactic“-Konzertreihe ein wenig zurückhaltender. Damit gewährt er dem von Lorenz Rhode geleiteten Musiker*innen-Kollektiv des „ZDF Magazin Royale“ das Mehr an Aufmerksamkeit, das im eng gesteckten Rahmen des TV-Formats kaum möglich erscheint. Aber der Reihe nach.
Es ist ein knackig kalter Abend in Bochum. Im RuhrCongress, gleich neben dem röchelnden Musical-Dauerläufer „Starlight Express“, wird es voll. Also ist artiges Anstehen angesagt. Erst bei der Einfahrt ins Parkhaus, dann vor der Halle. Und weil’s so schön ist, im Anschluss direkt noch einmal, um pflichtgemäß die Garderobe einzulagern. Deutscher geht es kaum! Das Publikum ist so, wie man sich die Zuschauerschaft des „ZDF Magazin Royale“ vorstellt: Ein bunter Mix überwiegend weißer Menschen verschiedener Alters- und Einkommensklassen. Ein bisschen links von der Mitte darf es schon sein. Sonst entstehen humoristische Konnektivitätsprobleme.
Aber der Pulk, das wird der Abend belegen, ist auf Ekstase erpicht. Das zeigt sich bereits, als hinter dem gewaltigen, die Bühne verhüllenden Vorhang mit aufgedrucktem Sci-Fi-Tourmotiv Bewegungen auszumachen sind. Wer nicht freiwillig kommt, muss eben rausgejubelt werden. Vorprogramm braucht es nicht. Dafür ist die rund zweistündige Show an sich schon umfang- und abwechslungsreich genug. Und so beginnt das Orchester mit einer Interpretation von „Can You Feel It“ (THE JACKSON FIVE), die als Maßgabe des Abends perfekten Sound auslobt.
Was folgt ist, neben dem gut aufgelegten und gewohnt sprachgewandten Böhmermann, ein begeisternder Ritt durch zahlreiche Musikgattungen. Deren Fundament bilden Songs, nicht selten mit Revue-Anmutung, aus dem Fundus des „Magazin Royale“. So wie der Corona-Schlager „Ischgl-Fieber (Husti Husti Heh!)“, die Synthie-Rock-Hymne „United States of Europe“, die Klavier-Balladen „Hallo Herr Scherzanwalt“ und „Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?“, das Arbeiterkampflied „Wir sind Versandsoldaten“ oder die von Schimpansen „geschriebene“ Max-Giesinger-Parodie „Menschen Leben Tanzen Welt“. Natürlich wird – nach Maßgabe des Polizistensohns – auch gerappt („Recht an“, „Ich hab Polizei“).
An Bewegung mangelt es nicht. Weder auf der Bühne, noch im Publikum. Teil der Show sind auch verschiedene Cover-Versionen. Solche wie „Gegen den Staat“ (Rocko Schamoni), „Style & das Geld“ (Kay One), „Meinst du, die Russen wollen Krieg“ (Mark Bernes) oder „Männer“. Wir sind schließlich in Bochum. Doch gerade hier zögert Böhmermann. Braucht eine solche Nummer nicht stimmliche Schützenhilfe? Also wird Urheber Herbert Grönemeyer unter frenetischem Jubel auf die Bühne gebeten. Besser wird die Stimmung an diesem Abend nicht mehr. Was bedeuten schon Haltung und politisches Gegenhalten, wenn Grönemeyer einen seiner größten Hits anstimmt? Da erwacht selbst in Böhmermann kurzzeitig der Fanboy. Trotzdem ist der Auftritt bei allem Unterhaltungswert (auch) für Botschaften gedacht. Schließlich ist es ein „politischer Liederabend“.
Der wird lediglich von den famosen (Instrumental-)Performances des Orchesters ausgehebelt, das u. a. „Intergalactic“ (BEASTIE BOYS), „Hymn“ (ULTRAVOX) und im Medley-Format verschiedene DAFT PUNK-Hits (darunter „One More Time“ und „Get Lucky“) variiert. An Professionalität und Begeisterungsfähigkeit fehlt es dem stimmlich vom Gesangs-Ensemble JADEBUBEN unterstützen Auftritt in keiner Sekunde. Aus dem Tritt gerät Böhmermann lediglich, als er bei der Erwähnung von Kumpel Olli Schulz wiederholt durch aufbrandende Jubelchöre aus dem Zuschauerraum unterbrochen wird. Auch das trägt zur fantastischen Stimmung bei. Die wird auch nicht davon getrübt, dass nach dem üppigen Zugabenteil an Garderobe und Parkhausausfahrt wieder Anstehen angesagt ist. Denn um wieder ganz auf der Erde anzukommen, braucht es nach solch einem galaktischen Spektakel eine Weile.