03.11.2018 – Propagandhi / Dead to Me / RVIVR – Köln, Live Music Hall

Politisch aufgewühlte Zeiten wie diese brauchen Punk-Rock. Und der Punk-Rock braucht PROPAGANDHI. So einfach ist das. Dabei ist unerheblich, dass die Kanadier mit der klassischen Genre-Ausprägung mittlerweile herzlich wenig an der Mütze haben. Neben Hardcore prägt vor allem der Metal die jüngeren Platten des Vierers. Anlässlich der letztjährigen Vorstellung ihres siebten Langspielers „Victory Lap“ folgte im milden Herbst der zweite Teil der dazugehörigen Europa-Tour. Der Auftritt in der Kölner Live Music Hall war lange vorweg ausverkauft. Auch das unterstreicht die Wichtigkeit der vielleicht politischsten Punk-Band ihrer Zeit.

Doch nicht nur das Hauptprogramm bot einen Höhepunkt mit Ansage. Das unterstrichen zum (vor-)zeitigen Startschuss RVIVR. Das Gespann aus Washington (State) setzt sich mit Nachdruck für die Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transgendern ein. Verpackt werden die hehren Botschaften in Indie-Punk mit männlich-weiblichen Gesangswechseln. Bei der packenden halben Stunde des Vierers wurde denn auch unverzüglich deutlich, woher der Geheimtipp-Status rührt. Nummern wie „Spider Song“, „Wrong Way/One Way“ oder das auf dem bald erscheinenden dritten Album zu findende „Toxic Masculinity“ machten enorm Lust auf mehr. Ein großartiger Auftakt, bei dem es nicht allein Frontfrau Erica schwerfiel, ihr Grinsen im Zaum zu halten.

Für DEAD TO ME stand im Anschluss der erste Deutschland-Gig seit 2012 auf dem Programm. Als Hauptgrund gab Sänger/Bassist Tyson „Chicken“ Annicharico seinen mit Drummer (und Cousin) Ian Anderson geteilten – und mittlerweile gewonnenen – Kampf gegen die Drogensucht an. Die schnoddrigen Punk-Rocker aus San Francisco feuerten über 40 Minuten mit hohem Energieaufwand aus allen Rohren, präsentierten u. a. mit „Don’t Wanna“, „Don’t Lie“, „I Wanna Die in Los Angeles“, „Special Professional“, „Liebe Liese“, „X“ und „By the Throat“ ansprechende Hits in Serie, wurden aber weniger abgefeiert als erwartet. Dennoch: ein sehenswerter Auftritt.

Bei den heftig bejubelten, sympathisch unaufgeregt zu Werke gehenden PROPAGANDHI war bereits nach den ersten drei Songs, „Failed Imagineer“, „Dear Coach’s Corner“ und „Fuck the Border“, klar, dass dem Pulk nach Feiern zumute war. Bierbecher flogen, Körper wurden gegeneinander geworfen und Arme in die Höhe gereckt, um den mitgeschmetterten Lyrics zusätzlichen Ausdruck zu verleihen. Weniger erstklassig wurde das Set in der Folge nicht – wohl aber sperriger. Das Quartett verlegte sich auf komplexere Beiträge. Solche wie „Lotus Gait“, „Note to Self“, „Comply/Resist“ oder „Nigredo“.

Der kollektiven Begeisterung bescherte das keinen Abbruch, selbst wenn die gen Ende eingeworfenen älteren Stücke, namentlich „Back to the Motor League“, „Apparently, I am a P.C. Fascist…“, „And We Thought That Nation-States Were a Bad Idea“, „Less Talk, More Rock“ und „Anti-Manifesto”, deutlich größere Bewegungsfreude im Publikum forcierten. Drei Zugaben später war nach insgesamt rund 70 Minuten Schluss. Der technisch und textlich  anspruchsvolle Hybrid aus Punk, Hardcore und Metal hinterließ ausnahmslos glückliche Gesichter. Dass PROPAGANDHI zudem zu keiner Zeit auf Parolen oder politisch aufgeheizte Ansagen setzten, bereicherte den erstklassigen Konzertabend zusätzlich. Denn es sprach vor allem die Musik. Es geht in politisch aufgewühlten Zeiten wie diesen eben auch ohne überzogene Gesten.

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