„Keine Arme, keine Schokolade!“ – Humor á la Driss
Mit auf wahren Begebenheiten basierenden Filmen ist das so eine Sache. Kino will und muss emotionalisieren und damit zwangsläufig auch gewichten. Von der Realität bleibt so am Ende meist wenig übrig. Olivier Nakache und Eric Toledano („Just Friends – 2 ungleiche Freunde“) wählen für ihr grandioses Feelgood Movie „Ziemlich beste Freunde“ einen ungemein charmanten Weg. Um derartige Diskussionen zu entkräften, zeigen sie vor dem Abspann in einem kurzen Ausschnitt die beiden Menschen, auf denen ihre Hauptfiguren beruhen. Nur weisen die (rein äußerlich) kaum Ähnlichkeit mit den zuvor portraitierten Protagonisten auf.
Die somit angedeuteten erzählerischen Freiheiten stützen aber letztlich den immensen Unterhaltungswert der rekordträchtigen französischen Tragikomödie, die auch in Deutschland auf großer Leinwand ein Millionenpublikum begeisterte. Diese dreht sich um eine ungewöhnliche Freundschaft und spiegelt dabei den Wunsch vieler Behinderter wider, im Alltagsleben gleichwertig behandelt zu werden. Das gilt auch für Philippe (François Cluzet, „Kleine wahre Lügen“), der seit einem Unfall beim Paragliding vom Hals abwärts gelähmt ist und lediglich den Kopf bewegen kann. Die Behandlung, die ihm Driss (Omar Sy, „Micmacs – Uns gehört Paris“) zuteil werden lässt, ist allerdings auch für ihn gewöhnungsbedürftig.
Der gebürtige Afrikaner, der bei seiner Tante in der Pariser Vorstadt lebt, erscheint in Philippes luxuriösem Heim nämlich nur, um eine Unterschrift fürs Arbeitsamt und damit verbunden finanzielle Stütze vom Staat einzuheimsen. Nicht allein aufgrund der Hautfarbe, sondern vor allem wegen seines despektierlichen Verhaltens, hebt sich Driss von den übrigen Bewerbern um eine Stelle als Philippes Assistent und körperlicher Helfer ab. Verglichen mit den unterwürfigen gelernten Pflegekräften erregt der ungehobelte Sozialschmarotzer aber die Neugier des potentiellen Arbeitgebers. Denn in der ihm eigenen Nonchalance blendet Driss die Behinderung seines Gegenübers rigoros aus.
Und so wird er für eine einmonatige Probezeit eingestellt, während der er im feudalen Anwesen Philippes einziehen kann. Das passt ihm, anders als viele seiner täglichen Pflichten, gut in den Kram, hat ihn die enttäuschte Tante doch vor die Tür gesetzt. Aus den zahlreichen Reibungspunkten der grundverschiedenen Männer wächst jedoch allmählich eine tiefe Verbundenheit. Aus der Gegensätzlichkeit der Figuren und ihrer Milieus schöpft das Duo Nakache/Toledano umwerfende Situationskomik. Frei von plattem Humor bleiben dabei auch soziale Aspekte nicht ausgespart. Nur wirken diese gerade in den ausschnitthaften Betrachtungen von Driss‘ Umfeld etwas halbherzig in die Geschichte integriert.
Aber das erzählerische Ungleichgewicht, bedingt durch die Fokussierung auf das Verhältnis der beiden Männer, schadet dem famos gespielten Film in keinster Weise. Zu erfrischend unsentimental rüttelt Driss das Leben des intellektuellen Philippe und seiner sympathisch schrulligen Bediensteten durcheinander. Sei es die Entdeckung der Ohrläppchen als erogene Zone oder die einleitende nächtliche Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagd mit der Polizei, auch abseits der mitunter vorhersehbaren beiderseitigen Kulturschocks versetzt „Ziemlich beste Freunde“ das Zwerchfell in rege Wallung. Und das wohlgemerkt, ohne die tragischen Aspekte zu vernachlässigen. Bereits jetzt ein Klassiker des modernen französischen Kinos!
Wertung: (9 / 10)