Winterkinder – Die schweigende Generation (D 2005)

winterkinderDie hinterlassenen Wunden des nationalsozialistischen Regimes sitzen tief. Zwei Generationen später liegen sie noch immer offen. Intrafamiliär liegt die Vergangenheit vielerorts unter einem dunklen Schleier verborgen. Was war, sollte man nicht immer ruhen lassen. Vor allem dann nicht, wenn die Rolle des eigenen Großvaters im Nationalsozialismus ungewiss ist. In „Winterkinder – Die schweigende Generation“, seinem Abschlussfilm der Hochschule für Fernsehen und Film München, durchbricht Jens Schanze die Mauer der Wortlosigkeit und stellt Fragen. Der Beginn einer persönlichen Spurensuche.

Ganz wohl ist der Mutter nicht beim Vorhaben des Sohnes. Dennoch erklärt sie sich bereit, den Filius bei der Aufarbeitung der Vergangenheit zu unterstützen. Jens Schanze zeichnet ein intimes Bild. Er interviewt die Mutter, die Geschwister, am Rande den Vater. Erinnerungen sind flüchtig. Aber die Hartnäckigkeit des Dokumentarfilmers fördert vergessen geglaubte, möglicherweise verdrängte Fragmente zutage. Manchmal unter Tränen. In Schlesien war der Großvater rasch in der Hierarchie der NSDAP aufgestiegen. Die Frage nach der Mitschuld bleibt. Unweit lag das Konzentrationslager Groß-Rosen.

Aus Archivunterlagen wird ersichtlich, dass der verstorbene Anverwandte bereits 1933 in die SA eintrat. Die Kriegszeiten banden ihn an die Heimatfront. In der Position eines Ortsschulungsleiters folgte er der Ideologie eines zerstörerischen Regimes. In Briefen an seine Mutter beschrieb er mit Stolz die Leistungen für die Partei, die Vaterlandsliebe, den Glauben an den Endsieg. In seinem Film reist der Enkel an die Orte der Vergangenheit. Die alte Heimat der Familie, die Ruinen des KZ Groß-Rosen. Auch im Angesicht der Rudimente einer menschenverachtenden Ära schweigt die Mutter. Es bleiben vage Erinnerungen. Und die Weigerung, das Bild des eigenen Vaters von Zweifeln trüben zu lassen.

„Winterkinder“ ist so kraftvoll wie bedächtig. Die Generation der Kriegskinder erhält fast ausschließlich Heimatgedanken. Der Schrecken wird ausgeblendet. Verdenken kann man es ihnen kaum. Die Enkelgeneration ist in der Wahl von Wort und Befürchtung deutlicher. Die Distanz nährt den Mut zur Kritik. Der Film versöhnt eine Familie. Das Volk bleibt gespalten. Eindeutige Antworten vermittelt Schanzes Aufarbeitung nicht. Das wird nicht allen Zuschauern genügen. Es reicht seiner Familie. Selbst wenn die Mutter das liebevolle Bild des nationalsozialistischen Vaters nur im Ansatz mit dem Gewicht der Verantwortung belädt.

Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

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