Nach Amokläufen bleibt nur Leere. Die kollektive Ohnmacht, diese Fassungslosigkeit, säugt sich aus der öffentlichen medialen Aufarbeitung. Hintergründe werden beleuchtet, Motive hinterfragt. Jenseits der temporären Aufmerksamkeit suchen die Überlebenden nach Halt. Nicht selten bleiben sie anonym. Namen hingegen erhalten die Opfer. In „Winged Creatures“ zeigt Rowan Woods („Little Fish“) die Versuche einer Gruppe Menschen, nach einer wahnsinnigen Bluttat in den Alltag zurück zu finden. Antworten gibt es nicht. Eben dort liegt die Stärke des erlesen besetzten Ensemble-Dramas.
Warum der Film nicht in den deutschen Kinos lief, scheint unverständlich. Ein großes Publikum hätte er vermutlich nicht gelockt. Aber ein unauffälliges, ein leises Werk wie dieses hätte zumindest eine Auswertung im Arthouse-Bereich, auf den kleinen Leinwänden der Republik verdient. Nun aber gilt es das unprätentiöse Kleinod als DVD-Premiere zu entdecken – und mit ihr eine beeindruckende, geschlossen starke Darstellerleistung. Für die bürgen unter anderem die Oscar-Preisträger Forest Whitaker („Der letzte König von Schottland“) und Jennifer Hudson („Dreamgirls“).
Whitaker spielt den krebskranken Fahrlehrer Charlie, der den Amoklauf eines unbekannten Täters in einem Café verletzt überlebt. Fortan wähnt er sich vom Glück übermannt und reist ohne Wissen seiner Tochter (Hudson) ins Glückspielparadies Las Vegas. Ein jeder Protagonist versucht dem lähmenden Schockzustand auf seine Weise zu entkommen: Die jugendliche Anne (Dakota Fanning, „Krieg der Welten“) flüchtet sich mit der Heldenverehrung des getöteten Vaters in religiösen Fanatismus, die alleinerziehende Carla (Kate Beckinsale, „Aviator“) vernachlässigt auf der Suche nach Geborgenheit ihr Baby.
Ohne einvernehmliches Ziel, ohne Aussicht auf Erlösung beobachtet Woods die Figuren. Auch den Arzt Bruce (Guy Pearce, „Memento“), der dem Mörder die Tür aufhielt und der, um sich Gebraucht zu fühlen, seiner Gattin durch Medikamentenmissbrauch Schmerzen zufügt. Der Film bleibt eine Bestandsaufnahme, ein Ausschnitt, der zwar Mitgefühl, nicht zwingend jedoch Identifikation forciert. Kitsch und Pathos meidet der Regisseur weiträumig, setzt trotz intimer Nähe auf eine distanzierte Betrachtung. Das mag im Vergleich zu populärerem Ensemble-Kino wie „L.A. Crash“ weniger Eindringlichkeit vermitteln, die Ratlosigkeit und Leere fängt „Winged Creatures“ aber bemerkenswert intensiv ein.
Wertung: (8 / 10)