„Hier gibt es keine scharfen Gegenstände. Ich habe einen kleinen Bruder…“
Vor zwei Jahren verzauberte Lone Scherfig das internationale Publikum mit ihrer subtil verschachtelten Liebeskomödie „Italienisch für Anfänger“. Mit ihrem neuen Film „Wilbur Wants to Kill Himself“ verabschiedet sich die dänische Regisseurin von den Reglements der Dogma-Doktrin und erzählt in nüchternen Bildern eine gefühlvoll melancholische Geschichte über die oft wundersamen Wege des Lebens. Darin zeigt der eingefleischte Misanthrop Wilbur (Jamie Sives, „One last Chance“) rege Ambitionen, seinem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen. Dabei räumt der lebensmüde Egozentriker seinem älteren Bruder Harbour (Adrian Rawlins, „Different for Girls“) immer wieder die Gelegenheit ein, ihn vor dem endgültigen Eintritt ins Jenseits zu bewahren.
„Da ist gar nichts, nur Schwärze und vollkommene Stille. Fast wie in Wales,“ sinniert der suizidgefährdete Glasgower schroff. Im Gegensatz zu seinem Bruder ist Harbour ein kaum zu erschütternder Optimist, dessen in Behaglichkeit erstrahlender Buchladen stets an der Schwelle zum Bankrott steht. Als Wilbur aus der ärztlich betreuten Therapiegruppe ausgeschlossen wird, übernimmt Harbour die volle Verantwortung für das Walten seines problematischen Blutsverwandten. Auf drängen des Älteren Bruders bilden die beiden eine Wohngemeinschaft in Harbours Domizil, doch bleibt die unbeständige Gemütslage Wilburs überschattet von immer neuen Bemühungen, sein Ende eigenhändig herbeizuführen. Selbst Harbours Vermählung mit der alleinerziehenden Alice (Shirley Henderson, „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“) mündet in die Notaufnahme des Krankenhauses.
Zusammen mit ihrer Tochter zieht Alice bei den ungleichen Brüdern ein und weckt zum ersten Mal ein Fünkchen der Hoffnung in Wilbur, verliebt sich dieser doch unvermittelt in die frischgebackene Schwägerin. Vollends in den Hintergrund tritt der Unmut über das eigene Dasein, als Harbour unheilbar an Bauspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Mit „Wilbur Wants to Kill Himself“ hat Lone Scherfig obgleich des morbiden Grundtenors einen wunderbar lebensbejahenden Film geschaffen, einen schieren Fels der Erzählkunst in der Brandung schnelllebigen Genrekinos. Ohne falsche Sentimentalität hütet die dänisch-britische Co-Produktion den tragischen Hintergrund ihrer Geschichte und windet sich zur ungeschönten Ode an die unberechenbaren Pfade der Liebe, die pure Lust am Leben. Das spröde Konstrukt der depressiven Handlung steht in beständigem Kontrast zur Hilflosigkeit der durchweg liebenswerten Charaktere, die sich selbst bis in kleinste Nebenrollen punktiert personalisiert präsentieren.
Die detailliert aufgezeigten Wesenszüge der Protagonisten wirken nie behäbig oder gar von Klischees überwuchert, sondern erweisen sich vielmehr als intensives Manifest der Glaubwürdigkeit und Realitätsnähe. Lone Scherfig schöpft Intensität selbst aus beiläufigen Alltäglichkeiten, kleinen Gesten, und bettet die emotionale Reinheit ihres wunderbar aufrichtigen Filmes allein auf die fantastischen Leistungen ihrer brillanten Akteure. Geprägt von exzentrischem Charme und gesäumt von der bitteren Ironie des Schicksals gipfelt „Wilbur Wants to Kill Himself“ in ein beinahe schwer verdauliches Finale des grenzenlosen Optimismus. So illustriert die überragende Tragikomödie den Grundgedanken positiver Einstellung und stellt die Chance eines neu zu beschreitenden Kapitels hinter jeden abgeschlossenen Abschnitt des Lebens. Denn Hoffnung findet sich überall, beizeiten sogar in den Grauzonen der Tragik.
Wertung: (9 / 10)