„We have a lot of work to do, crying is not on the list.“ – Zwangsläufig tough: Veronica
Dass „Widows“ kein typischer Crime-Thriller werden würde, schien bereits aufgrund der Wahl des Regisseurs offensichtlich. Denn Steve McQueen („Shame“) hat sich in Hollywood als anspruchsvoller Filmemacher etabliert, dessen Werke abseits des bloßen Unterhaltungsauftrags vor allem eines: aufwühlen. Seinen größten Triumph feierte der gebürtige Brite mit „12 Years a Slave“ (2013), der ihm neben umfassender internationaler Anerkennung einen Oscar bescherte. Das belädt besagten „Widows“ mit einer Hypothek, die das auf Basis der gleichnamigen britischen Mini-Serie (2002) von McQueen und Bestseller-Autorin Gillian Flynn („Gone Girl“) erstellte Skript nur teilweise erfüllen kann.
Dennoch birgt der Film genug Potential für die Umkehrung gängiger Standards. Denn im Zentrum stehen nicht wie gemeinhin üblich Männer, sondern Frauen. Oder besser: Witwen. Bevor der Plot die titelgebenden (und entgegen des deutschen Untertitels keineswegs „tödlichen“) Hinterbliebenen ins Zentrum rückt, muss sie zunächst der Verlust ereilen. Auslöser ist ein Überfall, den Harry Rawlings (Liam Neeson, „Hard Powder“) mit drei Komplizen (u. a. Jon Bernthal, „The Accountant“) verübt. Der sehenswerte Auftakt verknüpft in Parallelmontagen Familieneinblicke der Täter und das gescheiterte Auskommen ihres Raubzugs. An dessen Ende gehen die Männer in ihrem Fluchtfahrzeug in Flammen auf.
Für Veronica (Viola Davis, „Ma Rainey’s Black Bottom“), Harrys Frau, bleibt jedoch keine Zeit für Trauer. Schließlich verlangt Jamal Manning (Brian Tyree Henry, „Hotel Artemis“), dem Harrys Beutezug galt, die beim Ableben der Gangster verbrannten zwei Millionen Dollar zurück. Die Verzweiflung ist groß. Doch durch Harrys loyalen Fahrer Bash (Garret Dillahunt, „Fear the Walking Dead“) gelangt Veronica an ein Notizbuch, das ihr einen Ausweg bietet: den Plan eines ergänzenden Coups. Für dessen Umsetzung gewinnt sie zwei weitere Witwen: Alice (Elizabeth Debicki, „Tenet“) und Linda (Michelle Rodriguez, „Fast & Furious“), die durch den Tod ihrer Gatten ebenfalls in Perspektivlosigkeit erstarren.
„What I’ve learned from men like my father and your husband is that you reap what you sow.” – Jack Mulligan
Die große Stärke des Films ist die Komplexität. Denn anstatt es bei der an „Set It Off“ (1996) erinnernden Prämisse der zur Kriminalität genötigten Frauen zu belassen, beleuchtet McQueen ein bemerkenswertes Netzwerk durchaus tiefgreifender Figuren und Verflechtungen. Das beginnt bei Manning, der nicht allein als Gangsterboss fungiert, sondern auch als Stadtratskandidat antritt. Das verlorene Geld benötigt er für die Finanzierung seines Wahlkampfs, bei dem er Jack Mulligan (Colin Farrell, „The Gentlemen“) ausstechen will. Der ist Sohn des scheidenden Würdenträgers Tom Mulligan (Robert Duvall „Crazy Heart“), der die von ihm errichtete Polit-Dynastie um jeden Preis zu bewahren versucht.
Daran geknüpft werden auch Themen wie Rassismus und soziale Ungleichheit behandelt. Dass der Thriller-Anteil dieses ungewöhnlichen Heist-Movies darüber nicht zu kurz kommt, liegt u. a. im brisanten Detail begründet, dass der rettende Raubzug ausgerechnet auf die Residenz der Familie Mulligan zielt. Erschwert wird das von Lindas Babysitterin Belle (Cynthia Erivo, „Harriet – Der Weg in die Freiheit“) unterstützte Unterfangen in Planung und Ausführung durch Mannings brutalen Bruder Jatemme (Daniel Kaluuya, „Get Out“) – und eine späte Wendung, die das Warum des einleitenden Überfalls belichtet und Veronicas Leben erneut auf den Kopf stellt.
Nur erscheint dieser Twist derart konstruiert und aufdringlich, dass er die dramaturgische Geschlossenheit spürbar schädigt. Wer sich daran nicht stört, erlebt einen überdurchschnittlichen Genrefilm, der konventionelle Struktur und kritische Untertöne gekonnt fusioniert. Die spielstarke Besetzung, die schroffe Kulisse Chicagos und die exzellente Kamera, die häufig unmittelbar in die Gesichter der Figuren blickt, leisten ihr Übriges zur weitgehend positiven Anmutung. Dass McQueen dem Massenpublikum am Ende mehr leicht verdauliche Brocken hinwirft, als nötig gewesen wäre, wirkt im Gesamtkontext von „Widows“ daher zumindest grundlegend verzeihlich.
Wertung: (7 / 10)