Wie arg ist es um die Qualität des zeitgenössischen Kinos bestellt, wenn ein Film wie „Wer ist Hanna?“ vielerorts als Meisterwerk gepriesen wird? Sicher ist der Ansatz der Vermengung von Kunst-Drama mit Kaspar Hauser-Touch und Thriller in Hollywood-Manier respektabel. Zusammen finden die verschiedenen erzählerischen Ebenen aber einfach zu selten. Die bedächtige Einleitung weckt Erwartungen, denen letztlich allein der sehenswerte Cast standhalten kann. Der Rest ist zähes Ringen um Anspruch, dem überzeichnete Figuren und überflüssige Klischees deutlich zuwider laufen.
Teenager Hanna (Saoirse Ronan, „The Way Back“) wird von ihrem Vater Erik (mit aufgesetztem Akzent: Eric Bana, „München“) in der verschneiten Wildnis fernab von Zivilisation und Fortschritt großgezogen. Ihr Wissen speist sich aus einem Lexikon, die übrigen Lehrstunden umfassen diverse Sprachen sowie die Kunst des Kampfes und den Umgang mit verschiedenen Waffen. Ein anderes Leben als das einer von der Außenwelt abgeschnittenen Kindersoldatin kennt sie nicht. Doch vollends isoliert sind Hanna und Erik nicht. Eines Tages, als der Vater ihrer Ausbildung nichts mehr hinzufügen kann, offenbart er ihr einen elektronischen Sender, der die Position des Verstecks der beiden bei Betätigung an Regierungsagentin Marissa (Cate Blanchett, „Robin Hood“) übermittelt.
Sie will Erik tot sehen, seit er vor Jahren mit Hanna untertauchte. Die Hintergründe des Verwirrspiels enthüllt „Abbitte“-Regisseur Joe Wright mit der Gemütsruhe eines Arthouse-Filmers. Die dazugehörigen Bilder sind trotz wackeliger Actionintermezzi im „Bourne“-Look sehr europäisch. Wrights Thriller ist eine weitgehend europäische Produktion, die, zu guten Teilen in Berlin gedreht, redlich versucht, die Standarten Hollywoods zu unterlaufen. Nachdem Hanna den Sender ausgelöst und Marissa auf ihre Fährte geführt hat, setzt sich Erik ab. Laut Plan soll sich Hanna mitnehmen lassen und Marissa beim Verhör töten. Nur schickt die in weiser Voraussicht eine ihr ähnelnde Stellvertreterin.
Was folgt ist durchaus kunstvoll und spannend, nicht selten aber auch schlicht ermüdend und überfrachtet. Hanna flieht aus dem Geheimdienstbunker und findet sich in Marokko wider, wo sie Freundschaft mit der gleichaltrigen Touristin Sophie (Jessica Barden, „Immer Drama um Tamara“) schließt und in vager Andeutung erste Gefühle erproben darf. Marissa schickt ihr den Trainingsanzüge tragenden Reeperbahn-Asi Isaacs (Tom Hollander, „Fluch der Karibik“) samt zweier Klischee-Nazis hinterher, was ein wenig das Tempo schürt, vor allem aber für unfreiwillige Komik sorgt. Dafür, dass sich Wright vom US-Allerlei abheben will, schlägt er in Sachen Plattheit und narrativer Undefiniertheit einfach zu oft selbst diese Richtung ein.
In Berlin erfährt Hanna schließlich, wer ist sie ist und woher sie stammt. Um diesen überraschungsfreien Erkenntnisgewinn herum gibt es wieder hektische Action und ein Finale im brach liegenden Freizeitpark Plänterwald. Am Ende jedoch kehrt der Film zum Anfang zurück. Hanna verfehlt das Herz aus der Distanz, nicht aber das Auge aus der Nähe. In weißer Schrift auf rotem Grund brandet der Originaltitel auf und besiegelt einen Film, der dem eigenen Anspruch auf seltsam fahrlässige Weise nicht gerecht zu werden vermag. Die Ambition in Ehren, mit weniger Übertreibung bei der Ausgestaltung der Nebenfiguren und weniger beiläufig abgehandelten Subplots wäre das Ergebnis wohl konventioneller, dafür aber vielleicht auch überzeugender geraten.
Wertung: (5 / 10)